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Digitale Bauteilakte

[The Economist, 06.05.2017]

In dem Artikel aus dem Journal The Economist aus dem Jahr 2017, ist von der Bedeutung und dem enormen Wert die Rede, welche die Daten der Konsumenten digitaler Angebote bzw. Services – also uns Menschen – besitzen und die von den „großen Datengiganten“ (GAFA – Google, Amazon, Facebook und Apple) in Rahmen verschiedener Geschäftsmodelle gehoben werden. Nachweislich lässt sich also mit Daten sehr viel Geld verdienen. Doch wie steht es um die Daten von Produkten, wie einem Automobil? Diese sind offensichtlich noch nicht genügend erschlossen – insbesondere, wenn man diese über den gesamten Produktlebenszyklus – also auch zu deren nachhaltiger Wiederverwertung – betrachtet.

Bild 1: Datenquellen eines Fahrzeugs und deren Nutzung innerhalb seines Produktlebenszyklus (© Fraunhofer IWU)

Daten bilden das Grundgerüst für digitale Anwendungen und entstehen entlang des gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeuges bzw. dessen einzelner Bauteile. Dabei können Daten für den zeitlichen Produktionsverlauf eines einzelnen Prozesses, aber auch für vorhergehende oder nachgelagerte Prozesse nützlich sein. So kann die Produktentwicklung anhand der Produktionsdaten stetig optimiert und an bestehende Randbedingungen – wie Verfügbarkeit oder Nachhaltigkeitskennzahlen – angepasst werden. Darüber hinaus lassen sich aus den Nutzungs-, Wartungs- und Reparaturdaten Mehrwerte, z. B. für Updates und Upgrades oder auch eine effiziente Kreislaufwirtschaft generieren.

Damit solche Daten systematisch gesammelt und ausgetauscht werden können, braucht es eine entsprechende Infrastruktur: Die digitale Bauteilakte. Sie stellt ein Konzept zur systematischen Verfügbarmachung von Daten dar. Sie kann zentral oder auch dezentral in Form einer oder mehrerer Datenbanken auch unternehmensübergreifend umgesetzt werden. Ziel der digitalen Bauteilakte ist es, alle Akteure an den Möglichkeiten der Daten teilhaben zu lassen und somit dem Aufwand der Datensammlung einen breiteren Nutzen gegenüberzustellen.

Bild 2: Die Digitale Bauteilakte vereint alle Informationen zu einem Bauteil entlang seines Lebenszyklus. Sie kann eine Datenbank oder auch mehrere Datenbanken umfassen. Diese können unterschiedliche Besitzer und unterschiedliche Sichtbarkeit haben, um Betriebsgeheimnisse zu schützen. Der Austausch der Daten kann in Form eines Marktplatzes monetäre Anreize zur Datensammlung schaffen. (© Fraunhofer IWU)

Das systematische Bereitstellen der Daten kann monetäre Anreize durch deren Handel bieten. Werkstätten und Nutzer können so Ihre Nutzungsdaten bspw. an die Hersteller (OEM) verkaufen und damit die Aufwände der Datensammlung kompensieren. Recyclingbetriebe können den OEM die genauen Materialzusammensetzungen abkaufen, um die Reststoffe zu höherwertigen Kreislaufprodukten zu sortieren, für welche sie wiederum höhere Erlöse generieren. Mit der digitalen Bauteilakte wird es möglich, dass alle Akteure entlang des Lebenszyklus mit Daten Vorteile schaffen können und gleichzeitig an der Nutzung dieser durch Dritte beteiligt werden.

Die Umsetzung der digitalen Bauteilakte ist dementsprechend eine Herausforderung für alle Beteiligten, die es zu lösen gilt. Beachtet werden müssen Hardware und Software, die Datensicherheit sowie rechtliche Themen, wie Datenschutz und die Einhaltung von Schutzrechten. Hierfür gibt es jeweils verschiedene Ansätze. Daten können lokal im Unternehmen, zentral bei einem externen Dienstleister oder gar direkt am Bauteil gespeichert werden. Eine dezentrale Lösung hat den Vorteil der vollständigen Kontrolle, benötigt jedoch das Expertenwissen für die Einrichtung, Betrieb und vor allem auch den Schutz eines Datenservers, der interne wie externe Kommunikation mittels unterschiedlicher Protokolle ermöglicht. Externe Dienstleister für Cloud-Anwendungen können hier teilweise bis vollständig unterstützen. Je nach gewünschter Schutzklasse der Daten können diese Maßnahmen zur Einhaltung der Richtlinien ergreifen. Typische Wünsche sind die ausschließliche Verwendung von Servern, die in Deutschland oder der EU stehen, die örtliche Redundanz, also einer Datenhaltung an unterschiedlichen Standorten und die vollständige Verschlüsselung der Daten ohne Zugriffsmöglichkeit des Dienstleisters, sodass diese nur vom beauftragenden Unternehmen gelesen werden können.

Alternativ ist die Speicherung der Daten direkt am Bauteil möglich. Die Daten können unverschlüsselt oder verschlüsselt hinterlegt werden, sodass jeder Akteur nur die Daten auslesen kann, für die er bezahlt hat oder die Berechtigung besitzt. Besondere Herausforderung ist hier die kontinuierliche Erfassung von Daten während des Betriebs und die Redundanz der Daten im Falle einer Beschädigung des Bauteils. Vorteil ist ein pragmatischer Zugriff auf die Daten mit mobilen Auslesegeräten. Bei allen Lösungen müssen die digitalen Schnittstellen mitgedacht werden. Die Kompatibilität zwischen unterschiedlichen Ansätzen ermöglicht eine schnellere Nutzung der Daten für alle Akteure als geschlossene, herstellerspezifische Systeme.
Die Datensicherheit ist von besonderer Bedeutung. Die digitale Bauteilakte umfasst Daten, welche die internen Prozesse des Herstellers oder personenbezogene Daten des Nutzers enthalten. Beides gilt es einerseits aus Eigeninteresse und andererseits aus rechtlichen Gründen besonders zu schützen. Die Verschlüsselung der Daten ist dafür der grundlegende Schritt. Darauf aufbauend können ein- oder mehr-Faktor-Authentifizierungen implementiert werden, um je nach Schutzklasse sicherzustellen, dass nur Berechtigte auf die Daten Zugriff haben. Diese können einerseits lokal begrenzt sein, z. B. muss das Bauteil dafür in der Werkstatt vorliegen, und andererseits extern kontrolliert werden, z. B. über eine Authentifizierungswebsite. In diesem Rahmen können dann auch Zugriffsberechtigungen gehandelt werden. Zum Beispiel können Nutzer ihre Nutzungsdaten eigeninitiativ anbieten oder Unternehmen können Vergünstigungen bei Reparatur oder Neukauf gegen Datenzugriff anbieten. Die automatische Kontrolle der Zugriffe auf die Daten und damit die Kontrolle der Einhaltung der Lizenzrechte ist der letzte Schritt, der die digitale Bauteilakte abrundet.

Im Projekt DiSerHub unterstützen wir Sie gerne bei der Umsetzung der digitalen Bauteilakte für Ihr Unternehmen bzw. Produkt.

Folgende Praxisbeispiele und aktuelle Forschungsprojekte der DiSerHub-Partner zeigen dabei die möglichen Erfolge auf:

INSITU Produktgedächtnis

In diesem Vorhaben wurde ein Identifikationsverfahren entwickelt, welches es erlaubt, anhand intrinsischer Merkmale des Werkstoffs einen eindeutigen Material-Fingerprint zu ermitteln, der auch bei Veränderung der Oberfläche unverändert identifizierbar bleibt. Für diesen sind keinerlei Marker auf oder an der Oberfläche notwendig. Diese Methode eignet sich beispielsweise für die Bauteilrückverfolgung im Produktionsprozess für Karosseriebauteile.

Bild 3: Montierte Sensoreinheit am Roboter zur Identifikation der Karosserieteile auch nach dem Lackieren (© Fraunhofer IWU)

AUDIo 2.0 – Schutz von geistigem Eigentum im Produktionsumfeld mit IDS Connectoren

Die Schaffung eines sicheren und souveränen Datenraumes wurde am Beispiel 3D Druck wirkungsvoll gezeigt. Dabei erhält der Interessent für die Fertigung eines 3D Teils einen Zugang, in welchem CAD-Daten abgelegt werden können. Nachfolgend wird ein Angebot unterbreitet, erst bei Annahme dessen, werden die CAD-Daten für den Fertiger nicht nur sichtbar, sondern auch nutzbar.

Bild 4: Der IDS-Demonstrator des Fraunhofer CCIT ermöglicht den souveränen Austausch von Daten zwischen Werkzeugmaschinen. (© Fraunhofer IWU)

AdaProQ – Vernetzte Datenräume für adaptive Prozessketten

Die Chancen der Digitalisierung werden bei unternehmensinternen wie auch -übergreifenden Prozessketten für die – wirtschaftliche und nachhaltige – Produktfertigung aufgrund unvollständiger Datendurchgängigkeit und offener Datensicherheitsfragen bislang nicht gehoben. Es braucht vor allem gemeinsame und sichere Datenräume sowie Schnittstellen und Rechterollen, um das zu erreichen.
Unterschiedliche Informationen aus verschiedenen Bereichen der Prozesskette machen eine geeignete Infrastruktur sowie Aufbereitungsmethoden für eine gezielte Vorselektion und vorgelagerte Reduktion der Daten erforderlich. Im Ergebnis können mit diesen Daten auch Informationen aus der Nutzung des Produktes in die Prozesse der Kreislaufwirtschaft einfließen und somit neuartige Geschäftsmodelle entstehen.

Bild 5: Im ersten Schritt (links) wird die Prozesskette bei der Produktion durch vernetzte Datenräume optimiert und in einem weiteren Schritt (links) auch die darüberhinausgehende Kreislaufwirtschaft (© Fraunhofer IWU)

Die Asset Administration Shell” (AAS)

Alles kann ein Asset sein, vom physischen Objekt bis hin zur Software. Und jedes Asset kann mit Daten über den gesamten Lebenszyklus hinweg angereichert werden. Für die Verwaltung und den standardisierten Austausch dieser Daten gibt es die Asset Administration Shell. Dokumentation, Tracability, CO2-Fußabdruck, Sensordaten etc. – es gibt unzählige Anwendungsmöglichkeiten der AAS.

Bild 6: Wirkungsweise der Asset Administration Shell (© Fraunhofer IWU)

FA³ST – Fraunhofer Advanced Asset Administration Shell Tools

FA³ST ist ein Ökosystem von Open Source Werkzeugen, das die Arbeit mit Digitalen Zwillingen erleichtert. Es realisiert die Spezifikation der Verwaltungsschale. FA³ST Service ermöglicht die Erstellung von ausführbaren Digitalen Zwillingen, FA³ST Registry deren Verwaltung und FA³ST EDC Extension for AAS den sicheren Austausch von Daten zwischen Unternehmen auf Basis des Eclipse Dataspace.

Bild 7: Werkzeuge des FA³ST Ökosystems entlang des Lebenszyklus eines Digitalen Zwillings.

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Fraunhofer-Allianz autoMOBILproduktion
Dr.-Ing. Marcel Todtermuschke
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