Digitale Kompetenzen auf der Überholspur

CATI-Studie zu neuen Digitalisierungstrends in der Automobilindustrie

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Digitalisierungstrends in der Automobilindustrie hat das Chemnitz Automotive Institute CATI in einer neuen Studie untersucht. CATI ist ein Geschäftsbereich der TUCed – An-Institut für Transfer und Weiterbildung GmbH an der Technischen Universität Chemnitz.

Anders als in vielen Industriezweigen ist die Digitalisierung in der Automobilindustrie kein übergeordneter Megatrend, sondern ein wesentlicher Bestandteil und Erfolgsfaktor der automobilen Transformation. Im Automobilbereich prägt die Digitalisierung immer mehr das Produkt, dessen Wertschöpfung und Nutzung. Dadurch wird die Digitalisierung zum eigentlichen „Gamechanger” der Branche.

Die Informationstechnologie ist schon seit mehreren Fahrzeuggenerationen der entscheidende Innovationstreiber. Im Ergebnis ist eine komplexe IT-Architektur im Fahrzeug entstanden, die kaum noch zu managen und künftigen Anforderungen nicht mehr gewachsen ist. Durch die fortschreitende Umsetzung der CASE-Strategie (connected, autonomous, shared & services, electric) erfährt die Digitalisierung im Produkt ein exponentielles Wachstum, mit der Folge, dass in kommenden Fahrzeuggenerationen neue Fahrzeug- und IT-Architekturen erforderlich werden. Diese verlassen die bisherige Struktur mit dezentralen Steuergeräte-Inseln und setzen stattdessen auf wenige zentrale Hochleistungsrechner und einer steigenden Nutzung von Cloud-Ressourcen.

Digitalisierung im Produkt – „Software eats the car”

Da der Software-Anteil im Fahrzeug zum einen quantitativ ins Unermessliche steigt und zum anderen Software-Updates „over-the-air“ erfolgen, sind auch neue Software-Plattformen im Fahrzeug erforderlich. Diese beinhalten eine standardisierte Plattform für ein zentrales Betriebssystem und nachgelagerte Software-Stacks für einzelne Anwendungsbereiche und Funktionalitäten. Deren Entwicklung realisieren in hohem Maße externe Partner nach standardisierten Vorgaben. Die Software im Fahrzeug gewinnt nicht nur quantitativ enorm an Bedeutung, sondern wird zunehmend auch zum wichtigsten wertbestimmenden und Differenzierungs-Faktor zwischen den Herstellern.

Digitalisierung im Prozess – Industrie 4.0 war gestern

Mit den produktbasierten Digitalisierungstrends gehen digitale Innovationen in den Prozessen der automobilen Wertschöpfungskette einher, von der Produktentwicklung und Produktionsplanung über den Produktionsbetrieb und die Anlagensteuerung sowie -bedienung bis zur logistischen Versorgung der Produktion und der qualitätsgerechten Fertigstellung des Produkts. Dabei ermöglichen moderne Digitalisierungstechnologien neben einer bislang nicht dagewesenen Durchgängigkeit der Informationsbereitstellung und Datenverfügbarkeit noch vieles mehr wie den Einsatz von neuen Verfahren zur Analyse großer Datenmengen, die automatisierte Modellierung und Simulation von Produktfunktionalitäten und Prozessen, virtuelles Engineering, visuelle Technologien mit Verarbeitung von Daten in Echtzeit, digitale Objekterkennung und Bildverarbeitung, die Erstellung verarbeitbarer Datenmodelle und digitaler Abbilder physischer Objekte, vorausschauende Wartung und Instandhaltung, digitale Produkt- und Prozessdokumentation, manipulationssicher verschlüsselte digitale Zertifikate durch kryptographische Verfahren bzw. Blockchain-Technologien, den zunehmenden Einsatz von Technologien der Künstlichen Intelligenz u. v. m. Aktuelle Marktprognosen gehen davon aus, dass der Automotive Markt für Künstliche Intelligenz in den nächsten zehn Jahren mit einer jährlichen Wachstumsrate von 55 Prozent auf einen Umsatz von 600 Milliarden Dollar (2032) explodieren wird.

Digitale Kompetenzen – Erfolgsfaktor oder Innovationsbremse?

Die für diese Entwicklung erforderlichen Kompetenzen betreffen Unternehmen und Belegschaften gleichermaßen. Automobilhersteller (z. B. VW) haben damit begonnen, wenn auch erst 2022, den traditionell bauteilorientierten und nach Produktgruppen gegliederten Entwicklungsprozess auf Systeme und Funktionen auszurichten. Von Hardware first zu Software first. Und ein anderer Automobilhersteller (wie in den letzten Tagen durch Porsche bekannt gemacht) schafft eine Vorstandsposition Car-IT und besetzt diese mit einem ausgewiesenen Software-Experten. Ohne derartige strukturelle Veränderungen und Neuausrichtung von Kompetenzen auch auf oberster Managementebene wird die digitale Transformation nur eingeschränkt gelingen und mit hohem Lehrgeld verbunden sein. Bezogen auf erforderliche digitale Kompetenzen der Belegschaften können und müssen Unternehmen die erforderlichen nutzungs- und anwendungsorientierten Kompetenzen durch Qualifizierung und Kompetenzentwicklung der bestehenden Belegschaften gewinnen. Die mangelnde Personalverfügbarkeit ist ein zusätzlicher Impuls für diese Option. Die großen Automobilhersteller und Systemlieferanten (z. B. BMW und Bosch) fokussieren sich vor dem Hintergrund einer technologischen Entwicklung zum „Software-defined car“ dabei auch sehr stark auf interne Qualifizierungsprogramme zur Software-Entwicklung. „Wie bei so vielen Themen tun sich kleine und mittlere Unternehmen aus naheliegenden Gründen schwer, mit dieser Entwicklung Schritt zu halten. Die Digitalisierung wird daher auch zu einem weiteren Differenzierungsprozess in der Zulieferindustrie führen“, so die CATI-Autoren.

Quelle:
Autoland Sachsen, Ausgabe 2|2023, S. 26-27

Kontakt:
Martin Schuler, Projektleiter DiSerHub Ost
E-Mail:  diserhub@tuced.de