Probleme, Herausforderungen und Lösungsansätze für innerstädtischen Verkehr

Der Weg zu autoärmeren Innenstädte

Der Verkehr in unseren Städten bereitet vielen Menschen Probleme. Es spielt dabei keine Rolle, ob es um zu Fuß Gehende, Autofahrende, Fahrradfahrende oder Nutzende des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) geht. Insbesondere Fahrradfahrende haben oft mit einer unzureichenden Infrastruktur aus unsicheren und schlecht ausgebauten Fahrradwegen zu kämpfen, während der ÖPNV nicht regelmäßig genug fährt oder unpünktlich ist. Der motorisierte Individualverkehr gilt als besonders flexibel und schnell. Während der Hauptverkehrszeiten kommt es jedoch häufig zu diversen Verkehrsbehinderungen, gefährlichen Situationen mit anderen Verkehrsteilnehmenden (insbesondere Fahrradfahrenden) und letztendlich zu Schwierigkeiten bei der Parkplatzsuche. Eine INRIX Studie [1] aus dem Jahr 2017 ergab, dass allein die Suche nach Parkplätzen den Deutschen im Jahr mehr als 40 Milliarden Euro kostet – oder 896 Euro pro Fahrer. Ursache sind verlorene Zeit, zusätzlicher Kraftstoffverbrauch und höhere Luftverschmutzung. Auch bestehen alle Mobilitätsoptionen in Konkurrenz zueinander, was oft zu Konflikten führt.

Innerstädtischer Verkehr birgt zahlreiche Herausforderungen. Neben negativen Auswirkungen auf unser Klima besteht vor allem ein erhöhtes Unfallrisiko. Allein Im Juli 2023 wurden deutschlandweit 36.400 Personen im Straßenverkehr verletzt und täglich verunglücken acht Menschen tödlich durch Verkehrsunfälle [2]. Dabei ereignen sich rund 70% der Unfälle in Innenstädten und lediglich knapp 30% auf anderen Straßen (Autobahnen, Landstraßen, etc.) [3] .
Ein weiteres Problem stellt die Luftverschmutzung dar. Feinstaub und Stickoxide verursachen bereits Schäden bei ungeborenen Menschen [4]. Leben Menschen über einen längeren Zeitraum mit einer erhöhten Feinstaubkonzentration in der Luft, erhöht dies die Wahrscheinlichkeit von Herz-Kreislauf- oder Lungenerkrankungen betroffen zu sein oder auch Krebs zu entwickeln [5]. Die Lärmbelastung ist ein weiterer bedeutender Faktor im Straßenverkehr. Eine kontinuierliche Lärmbelästigung erhöht, ähnlich wie bei Feinstaub, das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Herzinfarkte [6].

Abbildung 1 – Lärmbelastung an Straßen. Teilweise liegt die Lärmbelastung über 70dB. Das Umweltbundesamt gibt 55 dB als Obergrenze für einen verträglichen Geräuschpegel an.

Es stellt sich also die Frage, wie all diesen negativen Aspekten begegnet werden kann. Hier wird oftmals der Ruf nach einer autofreien oder zumindest autoärmeren Innenstadt laut. Tatsächlich ist Deutschland eins der wenigen Länder, wo eine entsprechende Verkehrswende bisher noch nicht in Angriff genommen worden ist. Unser Nachbarland Frankreich ist hinsichtlich einer autoärmeren Innenstadt ein gutes Beispiel.

In Deutschland sind aktuell 48,8 Millionen PKWs zugelassen. Derzeit geht der Trend eher zum Besitz eines Zweit- oder Drittwagens, was zu einer Fahrzeugdichte von 722 Kfz je 1.000 Einwohner führt [7]. Ein durchschnittliches Auto steht ungefähr 23 Stunden am Tag und benötigt bisher eine Fläche von ca. 12 m2 für einen Stellplatz. Die Parkflächen werden zukünftig wohl größer, da neu zugelassene Fahrzeuge immer breiter werden. Ein Auto beansprucht also eine beträchtliche Fläche, selbst wenn es nicht benutzt wird. Im Vergleich zu Fahrrad, zu Fuß Gehende oder einem Bus benötigt das Auto während des Gebrauchs ebenfalls mehr Fläche.

Abbildung 2 – Drei Bilder, die den Flächenverbrauch von 72 Personen im Auto, mit Fahrrädern und im Bus darstellt.

Freie Fahrt für freie Bürger?

In den meisten deutschen Städten werden Autos bevorzugt behandelt, was dazu führt, dass andere Verkehrsmittel eingeschränkt sind. Weniger Autos in Innenstädten würden jedoch zu einer geringeren Ausprägung der oben genannten Probleme führen. Es ergeben sich auch zusätzliche Vorteile, da nicht mehr benötigte Parkflächen anderweitig genutzt werden könnten. Zum Beispiel könnten Parkplätze in Naherholungsgebiete, Spielplätze, Sportanlagen, Begegnungsstätten oder für andere Zwecke umgewandelt werden.

Die Herausforderung der Revolutionierung des innerstädtischen Verkehrs ist nicht allein struktureller oder individueller Natur. In Deutschland ist das Auto ein hoch emotionales Thema, weshalb autofreie Innenstädte kritisch betrachtet werden. Laut einer Umfrage von Schwäbische.de [8] sind 56% der Befragten der Meinung, dass Innenstädte keinesfalls autofrei sein sollten, während 37% dafür und 7% unentschieden sind. Laut dem Neuropsychologen Jens Foell sind die Gründe dafür vielfältig. Der motorisierte Individualverkehr bietet zum einen insbesondere Menschen mit eingeschränkter Mobilität eine unkomplizierte Fortbewegungsmöglichkeit. Zudem erfüllt der Individualverkehr die Mobilitätsbedürfnisse von Pendlern und Familien ohne eigenes Auto, die sonst aufgrund einer unzureichenden öffentlichen Verkehrsinfrastruktur Nachteile hätten. Auch der Einzelhandel und die Gastronomie sehen in autofreien Innenstädten Probleme, da sie dadurch nicht mehr gut und schnell erreichbar sind.

Wie schaffen wir also die Abkehr von Städten, wo der Individualverkehr im Vordergrund steht?

Professor Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung beschäftigt sich bereits seit langer Zeit mit den Hindernissen der Verkehrswende.
Seiner Ansicht nach ist die Straßenverkehrsordnung, die dem Auto immer noch eine starke Priorität einräumt, ein Problem. Starke Subventionierungen durch Kaufprämien, “Dienstwagenprivileg” und Entfernungspauschalen tragen dazu bei, dass das Auto weiterhin eine hohe Priorität in unserer Gesellschaft hat.
Es gibt jedoch auch gute Gründe zu der Annahme, dass die Verwendung des Autos stark von den täglichen Gewohnheiten abhängt. So sind nach einer Studie [9] die Gewohnheiten neben den (gefühlten) Vorteilen eines Verkehrsmittels ausschlaggebend für die Entscheidung der Nutzung einer bestimmten Mobilitätslösung. Eine andere Studie [10] zeigte zudem, dass diese Gewohnheiten aufgebrochen werden können und zu einer langfristigen Änderung des Mobilitätverhaltens führen können.

Die Entwicklung hin zu innerstädtischen Gebieten mit weniger motorisiertem Individualverkehr ist zwar eine Herausforderung, aber wie unsere Nachbarländer bereits gezeigt haben, durchaus möglich. Ein potentieller Ansatz zur Bewältigung der gegenwärtigen Probleme des motorisierten Individualverkehrs wäre die Reduzierung der Höchstgeschwindigkeiten in Innenstädten. Gemäß aktuellen Erkenntnissen zeigen die Tempo-30-Regelungen an Hauptverkehrsstraßen überwiegend positive Effekte [11]. In den meisten Fällen führen Verkehrsmaßnahmen zu Verbesserungen der Verkehrssicherheit, zur Reduzierung von Lärm-, Luftschadstoffen und zur Steigerung der Aufenthaltsqualität, ohne dass die Mobilität von Autofahrern übermäßig eingeschränkt wird. Dazu müssen Mittelfristig die rechtlichen Rahmenbedingungen unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung und wissenschaftlichen Erkenntnissen angepasst werden. Die derzeitigen Regelwerke beruhen teilweise auf veralteten Erkenntnissen und sind an vielen Stellen unklar oder gar widersprüchlich. Konkrete Vorschläge für Änderungen finden sich in den UBA-Texten 30/2016 [12].
Es wird bereits über eine Begrenzung der Geschwindigkeit auf 20 km/h diskutiert [13]. Dabei steht häufig nicht nur die erhöhte Sicherheit im Vordergrund, sondern auch die Aufwertung der Innenstädte für zu Fuß Gehende, die Geschäfte, Restaurants und Cafés besuchen.
Im vergangenen Sommer stellte Bundesminister Volker Wissing daher eine Änderung des StVG und der StVO vor [14]. Diese Änderungen sollen Ländern und Kommunen mehr Freiheiten hinsichtlich des innerstädtischen Verkehrs ermöglichen, um Tempolimits und autofreie / autoarme Straßen einfacher umsetzen zu können.

Bis es so weit ist, können innovative Technologien zur Verkehrsflusssteuerung zur Reduktion von Staus und Wartezeiten an Ampeln beitragen. In Flandern ist bereits 2022 ein Projekt gestartet worden, welches bis Ende 2024 den Datenaustausch zwischen 250 Lichtsignalanlagen über eine Cloud-Plattform erreichen möchte [15]. Gleichzeitig sollen Verkehrsdaten von Fahrzeugen und Infrastruktur erhoben und über Apps in Echtzeit für personalisierte Routenempfehlungen zur Verfügung gestellt werden. Auch in Deutschland wird an intelligenten Ampelsteuerungen geforscht. Dafür wurden in Lemgo (Ostwestfahlen) zum weltweit ersten Mal KI-Verfahren an einer realen Ampelsteuerung eingesetzt und konnten im Schnitt eine Reduktion der Reisezeit für Fahrzeuge um 10% erreichen, woraus in Simulationen 15-20% weniger Lärm- und Schadstoffemissionen errechnet wurden. Durch die Umsetzung an ganzen Straßenzügen sind sogar noch größere Einsparpotentiale zu erwarten [16].

Auch können On-Demand Mobilitätslösungen zu einer Reduktion des motorisierten Individualverkehrs führen, wodurch die genannten Probleme auch zum Teil reduziert werden. Beispiele für solche Lösungen sind myBus, Op Jück, oder Vorhaben wie die Neue Mobilität Paderborn.

Trotzdem bleiben einige Fragen und Probleme noch offen. Ein erster Schritt hin zu einer moderneren Gesetzgebung, die aktuelle Erkenntnisse der Wissenschaft berücksichtigt, ist getan. Vollständige Autoverbote scheinen in diesem Kontext wenig sinnvoll zu sein. Auch sollten solche Konzepte nicht dazu führen, dass bestimmte Berufsgruppen wie Handwerker oder Zustelldienste eingeschränkt werden. Das Ziel besteht darin, Anreize zu schaffen, um vorhandene Verhaltensweisen zu ändern und somit für alle lebenswertere Städte zu erschaffen. Auf dem Weg dahin werden Digitalisierung und technologische Lösungen zur Verbesserung des Verkehrsflusses eine zentrale Rolle spielen.

Kontakt: Tobias Hardes,
E-Mail: tobias.hardes@uni-paderborn.de


[1]https://inrix.com/press-releases/parking-pain-de/
[2]https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/09/PD23_380_46241.html
[3]https://de.statista.com/statistik/daten/studie/155372/umfrage/unfaelle-in-baustellenbereichen-ausserhalb-deutscher-ortschaften/
[4]https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0147651322004298
[5]https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0160412020319292
[6]https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0269749120369116
[7]https://www.kba.de/DE/Statistik/Fahrzeuge/Bestand/bestand_node.html
[8]https://www.schwaebische.de/regional/baden-wuerttemberg/mehrheit-gegen-autofreie-innenstaedte-114451
[9]https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1748-9326/aba032/pdf
[10]https://academic.oup.com/qje/article-abstract/132/4/2019/3857744?redirectedFrom=fulltext
[11]https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/2546/publikationen/wirkungen_von_tempo_30_an_hauptstrassen.pdf
[12]https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/378/publikationen/texte_30_2016_kurz_laerm-_und_klimaschutz_durch_tempo_30_0.pdf
[13]https://www.fr.de/verbraucher/stadt-bald-nur-noch-tempo-20-fuer-autofahrer-in-der-92573252.html
[14]https://bmdv.bund.de/SharedDocs/DE/Pressemitteilungen/2023/059-wissing-aenderung-stassenverkehrsgesetz.html
[15]https://www.mobilidata.be/en/news/unique-cloud-platform-communicate-intelligent-traffic-lights
[16]https://www.iosb-ina.fraunhofer.de/de/aktuelles_news/2022/KI4LSA-Projektabschluss.html