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Vernetzte Zukunft: Herausforderungen und Potenziale

Vernetzte Zukunft: Herausforderungen und Potenziale der Digitalisierung in der Automobilindustrie

Die Automobilindustrie steht an einem Wendpunkt. Auf der einen Seite bietet die Digitalisierung durch vernetzte und digitale Ökosysteme das Potenzial für die Erschließung von völlig neuer Geschäftsmodellen. Auf der anderen Seite stellen diese Entwicklungen die Branche vor beispiellose Herausforderungen.

In der Automobil- und Mobilitätswirtschaft vollzieht sich angesichts der Digitalisierung eine tiefgreifende Transformation, die als die umwälzendste Phase ihrer Geschichte betrachtet werden kann. Diese Transformation ist geprägt durch jederzeit abrufbare, datengebundene Informationen und digitale Plattformen, welche die etablierten Akteurslandschaften stark verändern und eine Neuordnung der Wertschöpfungsketten bewirken. Etablierte Organisationen stehen vor der Herausforderung, ihre Geschäftsmodelle zu überdenken, um ihre Zukunftsfähigkeit im sich wandelnden Mobilitätsökosystem sicherzustellen.

Mit dieser Verschiebung der Kompetenzanforderungen entstehen neue Chancen, aber auch Risiken. Einerseits eröffnen sich für etablierte Akteure aus der Automobil- und Mobilitätswirtschaft neue Wertschöpfungsmöglichkeiten. Andererseits erodieren viele der bisherigen Wertschöpfungselemente und Profitpools oder entfallen vollständig. In dieses sich verändernde Umfeld treten neue, finanzstarke Wettbewerber – insbesondere Technologieunternehmen wie Alphabet/Google (u.a. Android Auto), Apple (u.a. CarPlay), Amazon (u.a. Automotive Cloud Solution) oder Tencent (u.a. autonomes Fahren oder Flottenmanagement), Baidu (u.a. autonomes Fahren) oder Alibaba (u.a. E-Mobilität) in China. Diese Unternehmen streben danach, den Erfolg ihrer digitalen Ökosysteme aus der Unterhaltungselektronik auf die Automobil- und Mobilitätswirtschaft zu übertragen. Dabei sind auch spezialisierte Digitalunternehmen und Start-ups von Bedeutung, die innovative Dienste wie Softwarelösungen, Datenanalysen, Auto-Abos, Carsharing und Fahrdienste anbieten.

Digitale Plattformen spielen in dieser Transformation eine zentrale Rolle, da sie unterschiedliche Akteursgruppen internet- und datenbasiert zusammenführen und so deren Interaktion ermöglichen. Ihre Existenz und ihr Erfolg hängen von der Zwei- bzw. Mehrseitigkeit ihrer Nutzerbasis ab. Sobald eine kritische Masse an Nutzern erreicht ist, können diese Plattformen indirekte und direkte Netzwerkeffekte nutzen, um Skaleneffekte leichter zu realisieren. Dabei bieten sie den erheblichen Vorteil, dass durch die überwiegend digitale Prozessabwicklung die Transaktionskosten auf ein Minimum reduziert werden können. Dies stellt eine fundamentale Veränderung der Paradigmen sowie der Wertschöpfungs- und Akteursstrukturen im gesamten Auto- und Mobilitätsuniversum dar.

Die Daten- und Plattformdynamik wird also auch für die Agierenden in der Automobilindustrie und Mobilitätsdomäne immer wichtiger. Um diesen Wandel erfolgreich gestalten zu können braucht es Kompetenzen und Fachkräfte im Bereich der Digitalisierung. Deutschland, als größte Volkswirtschaft in Europa, liegt nach dem Digital Economy and Society Index (DESI) der Europäischen Kommission lediglich auf Platz 13 von 28 (im Jahr 2022) [1]. Auch bei der Digitalisierung der Unternehmen besteht großer Nachholbedarf. Das Reifegradmodell Data Economy zeigt hier im Jahr 2021, dass ein Großteil der deutschen Unternehmen bei der Digitalisierung noch am Anfang steht [2].

Neben der Abkehr vom Verbrennungsmotor ist also auch die Digitalisierung eine große Veränderung für die Automobilbranche. Diese Veränderung beschränkt sich dabei nicht nur auf die Automobilhersteller, sondern durchzieht die ganze Landschaft der Agierenden: Das Bürgertum, Werkstätten, Versicherungen, Städte & Kommunen, Infrastrukturanbieter und viele mehr. Digitale Dienstleistungen rund um die Mobilität und das Mobilitätserlebnis werden zunehmend zu Faktoren, ohne die Fahrzeuge nicht mehr verkauft werden können.

Dabei gehen digitale Services im Automobilumfeld weit über E-Commerce und Entertainment Funktionen hinaus. Zu den digitalen Services gehören unter anderem auch das Wartungsmanagement des Fahrzeugs, Telediagnosen bei Problemen oder Sicherheitsfunktionen, die sich aus einer Kommunikation zwischen Fahrzeugen (V2X-Kommunikation) ergeben.

Vernetzte Ökosysteme und Fahrzeuge können dazu beitragen, den Verkehr umweltfreundlicher zu gestalten. Durch optimierte Routenführung und vorausschauendes Fahren können Energieverbrauch und Emissionen reduziert werden. In Städten könnten vernetzte Fahrzeuge dazu beitragen, den Verkehr flüssiger zu gestalten und so Staus und Luftverschmutzung zu reduzieren.

Die Vernetzung von Fahrzeugen insgesamt kann zudem die Verkehrssicherheit substanziell erhöhen. Systeme, die frühzeitig vor Gefahrensituationen warnen und bei Bedarf eingreifen können, haben das Potenzial, die Zahl der Verkehrsunfälle drastisch zu reduzieren.

Aufgrund des Drucks zur Transformation müssen Agierende in der Automobilindustrie und öffentlichen Verwaltung kurz-, mittel- und langfristige Strategien implementieren und externe Faktoren (z.B. (Verkehrs-)Infrastruktur, Regulatorien oder Ressourcenausbau in der öffentlichen Verwaltung) optimieren.

Automatisierung, KI-Einsatz und Vernetzung von Maschinen und Dienstleistungen werden immer wichtiger und beeinflussen die Kundeninteraktion nachhaltig. Projekte wie Catena-X [3] (Innovationsnetzwerk zur Datenökonomie) oder regiomove [4] (Karlsruher Verkehrsverbund) verdeutlichen zudem die zunehmende Interaktion zwischen Stakeholdern entlang der Wertschöpfungskette. Zudem ist die Weiterentwicklung digitaler Kompetenzen essenziell, um Unternehmensprozesse, sowie Produkt- und Dienstleistungsangebote anzupassen, um dem sich ändernden Markt zu begegnen. Das Reifegradmodell deutet darauf hin, dass hier zunächst die internen Prozesse digitalisiert werden müssen, bevor externe Angebote möglich sind. Das so gewonnene Know-how kann dann als Grundlage für weitere Überlegungen hinsichtlich der eigenen strategischen Ausrichtung dienen.

Kooperationen gelten als zweiter wichtiger Baustein für eine wettbewerbsfähige Position hinsichtlich der Daten- und Plattformökonomie. Viele international agierende Unternehmen, entlang der Wertschöpfungskette, haben bereits Kooperationen mit großen Firmen wie Waymo (Alphabet), Apple oder NVIDIA geschlossen. Das Unternehmen Waymo (eine Ausgründung aus Alphabet) fährt bereits seit 2017 erste autonomen Fahrzeuge auf den Straßen von Arizona. Apple CarPlay soll zukünftig nicht mehr als reine Erweiterung des Infotainment-Systems arbeiten, sondern auch zum Teil eine Steuerung des Fahrzeugs ermöglichen [5]. Auch NVIDIA dringt auf den Markt vor und bietet mit der Plattform DRIVE [6] Lösungen für das autonome Fahren an. Um den wachsenden Anforderungen des Marktes gerecht zu werden sind Kooperationen nahezu unerlässlich. Die Kooperation kann dabei eine strategische Partnerschaft sein oder auch eine Übernahme bzw. ein Zusammenschluss. Durch Übernahmen und Zusammenschlüsse können ggf. nötige Größenvorteile entstehen, um einen Marktvorteil zu erreichen (z.B. NVIDIA & Mercedes, Qualcomm & BMW, etc.). Gerade kleinere Betriebe können davon profitieren, sodass Investitionen für die Digitalisierung auf mehrere Partner verteilt werden. Neben den reinen monetären Aspekten bündelt ein Zusammenschluss auch Kompetenzen. Strategische Partnerschaften können genutzt werden, um einen Teil der Leistungserstellung auszulagern und so Kosten zu sparen, den Herstellungsprozess zu beschleunigen oder die Qualität zu erhöhen. Allerdings besteht bei solchen Partnerschaften auch immer die Gefahr einer starken Abhängigkeit, die auch zu Gefahren werden können.

Die digitale Transformation in Deutschland kann und muss aber auch durch die Regierung vorangetrieben werden. Eine robuste digitale Infrastruktur ist entscheidend für die erfolgreiche Digitalisierung in Unternehmen, Staat und Gesellschaft. Der schnelle Ausbau von schnellen Internetzugängen und digitaler Verkehrsinfrastruktur ist dringend erforderlich. Insbesondere braucht auch die öffentliche Verwaltung Ressourcen und Kompetenzen in der Daten- und Plattformökonomie. Beispielsweise könnte eine Open-Data-Strategie ein Schlüsselelement der digitalen Verwaltung, oder für die Schaffung neuer Geschäftsmodelle werden. Die Daten, die von Fahrzeugen bereits erfasst werden oder erfasst werden könnten haben ebenfalls ein enormes Potenzial. Sie ermöglichen nicht nur eine effizientere Verkehrssteuerung, sondern auch neue Geschäftsmodelle. Beispielsweise können durch die Analyse von Fahrdaten maßgeschneiderte Versicherungsprodukte entwickelt werden, die den individuellen Fahrstil berücksichtigen. Solche Telematik-Versicherungen sind bereits heute erhältlich [7].

Telematik-Daten lassen sich aber auch noch anders nutzen. Beispielsweise könnten Informationen aus den Aktivitäten der Scheibenwischer oder der Regensensorik genutzt werden, um ein genaueres Abbild der aktuellen Wettersituation zu bekommen. Ähnliches erreicht Alphabet bereits heute für Google Maps, wo Bewegungsdaten der Fahrzeuge zur Stauerkennung genutzt werden. Möglich könnte auch die Auswertung der vertikalen Bewegungen eines Fahrzeugs sein, um so z.B. Schäden wie Schlaglöcher auf den Straßen zu erkennen.

Allerdings wird die breite Nutzung von Daten durch unklare rechtliche Rahmenbedingungen erschwert. Es besteht Bedarf für klarere Richtlinien, insbesondere bezüglich der Datenschutz-Grundverordnung und der Nutzung von Fahrzeugdaten, um datenbasierte Geschäftsmodelle zu fördern. Vernetzte Fahrzeuge generieren riesige Mengen an Daten. Die Herausforderung besteht darin, diese Daten sicher und verantwortungsvoll zu verwenden, aber auch zu klären, wem diese Daten letztendlich gehören (dem Fahrer, Hersteller, …). Hacker- Angriffe auf vernetzte Fahrzeuge können nicht nur Daten kompromittieren, sondern auch die physische Sicherheit der Insassen gefährden. Die Etablierung von umfassenden Sicherheitsstandards und der Schutz vor Cyberangriffen sind somit eine der Kernherausforderungen der Branche.

Hinzu kommen die Standardisierung und Kompatibilität. Damit Fahrzeuge effizient miteinander und mit der Infrastruktur kommunizieren können, müssen einheitliche Standards definiert werden. Diese Standards müssen international gültig sein, ähnlich wie beispielsweise bei den Steckertypen für E-Fahrzeuge oder die Ladesäulenverordnung.

Leuchtturmprojekte und Kompetenzzentren wie DiSerHub können die Koordination über die verschiedenen Agierenden im Mobilitätsökosystem verbessern. Das Projektvorhaben DiSerHub etabliert einen Transformations-Hub für digitale Services und neue, digitale Geschäftsmodelle an. Dieser Transformations-Hub richtet sich an etablierte und neue Agierende mit Fokus auf den kompletten Wertschöpfungsprozess von Automobilen. Auf Basis der gemeinsamen Expertise wird ein abgestimmtes Transformations- und Wissenstransferkonzept aus kostenfreien On-Demand- sowie Live-Transferformaten für die Agierenden konzeptioniert, pilotiert und etabliert. Das nachhaltige Transformationskonzept liefert so einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit zahlreicher Agierenden der deutschen Automobilindustrie. Das Projektvorhaben DiSerHub ist vom BMWK im Rahmen des Zukunftsfonds Automobilindustrie der Bundesregierung gefördert. DiSerHub ist eins von 11 Transformations-Hubs zur Unterstützung von Transformationsprozessen in den Wertschöpfungsketten der Automobilindustrie.

Letztendlich geht der Trend weg vom herkömmlichen Geschäftsmodell, dass ein Auto für den täglichen Gebrauch vorsieht und hin zu einem individuellen und nachhaltigen Mobilitätserlebnis. Für die Etablierung nachhaltiger, vernetzter Mobilität bedarf es einer engen Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Agierenden, wie beispielsweise Automobilherstellern, Software-Unternehmen, politischen Entscheidungsträgern und der Gesellschaft. Es handelt sich um eine gewaltige Aufgabe, aber auch um eine Chance für die Industrie, sich neu zu erfinden und einen Beitrag zur Lösung globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel zu leisten.

Kontakt:
Tobias Hardes
Tobias.Hardes@uni-paderborn.de


[1]https://digital-strategy.ec.europa.eu/de/policies/desi
[2]https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Gutachten/PDF/2021/Hemmnisse_der_Datenwirtschaft_Studie.pdf
[3]https://catena-x.net/en/
[4]https://www.kvv.de/mobilitaet/regiomove.html
[5]https://www.businesstoday.in/technology/news/story/wwdc-2022-apple-announces-updates-to-carplay-with-widgets-greater-integration-336587-2022-06-07
[6]https://developer.nvidia.com/drive
[7]https://www.adac.de/produkte/versicherungen/autoversicherung/fahr-und-spar/