Zugang zu fahrzeuggenerierten Daten
Interviewreihe des Instituts für Automobilwirtschaft (IfA)
Interview mit Herrn Frank Schlehuber, Senior Consultant, European Association of Automotive Suppliers (CLEPA) am 28. November 2023.
Das Institut für Automobilwirtschaft (IfA) ist Teil des bundesweiten Transformations-Hubs „DiSerHub“. DiSerHub besteht aus fünf Forschungsinstitutionen, die gemeinsam an einer verbesserten, nachhaltigeren Nutzung von Automobilen mit Hilfe digitaler Services und digitaler Geschäftsmodelle arbeiten. In diesem Kontext stellen fahrzeuggenerierte Daten eine Grundvoraussetzung dar, um das Angebotsportfolio um datenbasierte Geschäftsmodelle zu erweitern. Es lassen sich diverse Potenziale identifizieren, mit denen Branchenakteure Daten im Rahmen neuer Geschäftsmodelle monetarisiert werden können. Mit dieser Interviewreihe möchten die Verantwortlichen des Instituts für Automobilwirtschaft (IfA) erfassen, welchen Blickwinkel unterschiedliche Branchenakteure zum Thema „Zugang zu fahrzeuggenerierten Daten“ einnehmen. Das Interview führten Jan Ole Thomas und David Sosto Archimio vom Institut für Automobilwirtschaft (IfA).
IfA: Als Senior Consultant Market Affairs der CLEPA (European Association of Automotive Suppliers) vertreten Sie die Interessen von zahlreichen Automobilzulieferern. Haben die von Ihnen vertretenen Unternehmen Zugang zu fahrzeuggenerierten Daten?
Frank Schlehuber: Ja, allerdings nur in einem sehr geringen Umfang.
IfA: Auf welche fahrzeuggenerierten Daten sowie in welchem Umfang und in welcher Qualität haben diese Unternehmen Zugriff?
Frank Schlehuber: Der Umfang der Daten, die die einzelnen Fahrzeughersteller zur Verfügung stellen, ist sehr unterschiedlich. Meiner Meinung nach sollte man zunächst klären, wie überhaupt auf die Daten zugegriffen werden kann. Momentan sind in Europa schätzungsweise 40 bis 45 Millionen Fahrzeuge über das sogenannte „Extended-Vehicle-Konzept“ mit dem jeweiligen Fahrzeughersteller verbunden. Diese Fahrzeuge senden ihre Daten jedoch ausschließlich an den jeweiligen Hersteller. Alle Daten, die ein Fahrzeug generiert, fließen also zunächst über das Backend des Herstellers, der dann darüber entscheidet, ob und wie diese Daten an Dritte weitergegeben werden. In diesem Kontext sind die Zulieferer abhängig vom Angebot der Hersteller. Hier zeigt sich die Komplexität des Themas: Viele Daten, die auf den Servern der Automobilhersteller landen, werden Dritten gar nicht zur Verfügung gestellt. Manche Daten verbleiben auch vollständig im Fahrzeug und werden selbst vom Hersteller nicht ausgewertet. Genau diese Daten können für Unternehmen wie Bosch, Schaeffler und Mahle aus Engineering-Sicht besonders interessant sein.
IfA: Also ist es nur möglich, über die Automobilhersteller auf solche Daten zuzugreifen. Wie würden Sie die Bereitschaft der Automobilhersteller in diesem Kontext beschreiben?
Frank Schlehuber: Die Automobilhersteller verhalten sich in diesem Zusammenhang sehr restriktiv. Es gibt innerhalb der Herstellerlandschaft Diskussionen darüber, ob Drittanbieter wie Google Zugriff auf Fahrzeugdaten bekommen sollten und wie generell mit Daten aus dem Fahrzeug umgegangen wird. Einige Hersteller gewähren Google einen freieren Zugang, während andere diesen verweigern. Die Android-Auto-Plattform beispielsweise ist darauf ausgelegt, 350 bis 400 Datenpunkte im Fahrzeug zu verarbeiten. In der Praxis werden jedoch weitaus weniger übertragen.
BMW stellt Dritten derzeit 88 Datenpunkte vom BMW Backend zur Verfügung, , andere Hersteller übertragen sogar nur vier Datenpunkte. Der einzige gemeinsame Datenpunkt, den alle Hersteller bereitstellen, ist der Kilometerstand. Das ist der Hauptgrund dafür, dass in Europa bislang keine herstellerunabhängigen datenbasierten Services entstehen konnten – ein einzelner, gemeinsamer Datenpunkt bildet keine Grundlage für zukunftsweisende Investitionen. „Access to Data” bedeutet also für Drittanbieter auch „Access to Market.“
IfA: Wie haben Sie auf diesen Sachverhalt aus Verbands-Perspektive reagiert?
Frank Schlehuber: Vor einigen Jahren haben wir als Zulieferer verschiedene Use Cases für datenbasierte Services entwickelt und basierend darauf 529 notwendige Datenpunkte definiert. Diese Liste haben wir der EU-Kommission übergeben und der Arbeitsgruppe in Brüssel präsentiert – sie ist auf der Website der Kommission einsehbar. Die Fahrzeughersteller haben daraufhin ebenfalls eine Liste mit 42 wichtigen Datenpunkten veröffentlicht. Diese wurde jedoch bald wieder zurückgezogen, da sie „aus der Not heraus“ erstellt wurde, um zu signalisieren, dass auch Hersteller bereit seien, Fahrzeugdaten zu teilen. Der Inhalt dieser Liste war jedoch fragwürdig: So waren zwei der Datenpunkte jene, die angezeigt haben, ob das hintere linke und das hintere rechte Fenster geöffnet oder geschlossen sind. Die Hälfte der Datenpunkte war damit im Grunde wirtschaftlich uninteressant.
IfA: Wie verhält es sich mit dem Umfang und der Qualität der Daten?
Frank Schlehuber: Unserer Meinung nach sind die Latenz und die Frequenz der Daten entscheidend – also die Verzögerung, mit der Daten gesendet und empfangen werden, sowie die Häufigkeit der Abrufmöglichkeiten. Ein Beispiel: Ein Fahrzeug der Marke BMW sendet Daten nur, wenn die Zündung ausgeschaltet wird. Erst dann erfolgt die Übermittlung eines Datensatzes. Andere Hersteller übertragen Daten, wie ein GPS-Signal, in Abständen von zehn oder sogar fünf Minuten.
Ein praktisches Beispiel ist eine Versicherung, die eine „Pay-as-you-drive“-Abrechnung anbieten möchte. Ohne Daten über den aktuellen Standort oder die Fahrweise ist die Umsetzung eines solchen Abrechnungsmodells schwierig. Wie soll die Versicherung wissen, ob das Fahrzeug gerade durch die Innenstadt oder über die Landstraße fährt? Isolierte Daten – also Daten ohne Kontext – sind hier wenig nützlich. Das zentrale Problem ist das Verhalten der Fahrzeughersteller: „Gebt uns eure Use Cases und wir entscheiden dann, welche Daten ihr dafür zu welchem Preis bekommt“. Welcher Drittanbieter würde jedoch seine Ideen offenlegen und dem OEM seine Use Cases und Geschäftsmodelle darlegen, nur um anschließend die gewünschten Daten zu erhalten? Wenn es ein besonders lohnendes Geschäftsmodell wäre, würde der OEM die Daten wahrscheinlich zurückhalten, oder den Use Case selbst als Service anbieten.
Ein weiterer Punkt: Daten sind nur dann sinnvoll, wenn sie in beide Richtungen fließen. Es geht oft nur um die Fahrzeugdaten selbst. Aber was ist mit dem Zugang zu den Displays im Fahrzeug oder der Interaktion mit dem Nutzer? Daten allein können vielleicht etwas auslösen, doch die eigentlichen Geschäftsmodelle lassen sich nur entwickeln, wenn eine Rückmeldung möglich ist. Ein Zugriff von außen auf das Fahrzeugdisplay wäre erforderlich, was jedoch nur über den Fahrzeughersteller möglich ist. Dieser könnte dann alles mitschneiden – laut eigener Aussage aus Gründen der Datensicherheit und Fahrzeugintegrität. Das ist teilweise nachvollziehbar, aber welche Sicherheit hat ein Drittanbieter, dass tatsächlich kein Monitoring stattfindet?
Hier könnte man sich am strikteren Fernmeldegesetz orientieren, welches mehr Sicherheit bietet als die aktuellen Regelungen. Ein umfassendes Verständnis der Daten und eine sichere Grundlage für Drittanbieter sind notwendig, um die Daten effektiv nutzen und in diesen Bereich investieren zu können. Das derzeitige Regelwerk reicht dafür nicht aus – es braucht eine neue Grundlage.
IfA: Wagen wir nun einen kurzen Rückblick auf das, was Sie zu Beginn gesagt haben: Für Zulieferer wäre es sicherlich auch sehr interessant, an bestimmte Bauteildaten zu kommen. Ich gehe davon aus, dass es um die Optimierung von bestimmten Produkten und Materialien geht?
Frank Schlehuber: Ja, zu diesem Thema gab es ein Projekt namens „AFQM“ (Field-Quality-Monitoring). Dabei wollten wir über Belastungsdaten sprechen: In welchem Fahrzustand befindet sich das Fahrzeug? Wie schnell ist es unterwegs? Wie war die Dämpfung eingestellt? So könnten Lastzustände für Komponenten erfasst werden. Die Idee dahinter war, dass Fahrzeugdaten gleichzeitig Engineering-Daten liefern, um beispielsweise Gewicht zu reduzieren oder gezielt an den Stellen zu verstärken, wo es wirklich notwendig ist. Das war eine Überlegung, aus der letztendlich jedoch nichts geworden ist. Allerdings gab es den ein oder anderen OEM, der offen für diese Idee war.
Aktuell haben wir in unserer Garantiearbeitsgruppe die Diskussion, warum Zulieferer Garantiefälle akzeptieren, ohne entsprechendes Datenmaterial zu erhalten. Bisher haben wir keine konkreten Forderungen auf dem Tisch, aber das wäre ein Anwendungsfall für die Zukunft. Ein Zulieferer könnte beispielsweise die Bedingung nennen: „Wir akzeptieren nichts mehr ohne einen vernünftigen Datensatz aus dem Fahrzeug. Aus welchem Fahrzeug stammt das betreffende Teil? Welche Teile waren noch installiert? Wie war der letzte Fahrzeugzustand, bevor das Teil ausfiel?“ Da sind einige Überlegungen vorstellbar, die allein für Engineering-Zwecke durchaus Sinn ergeben.
IfA: Damit sind auch schon – zumindest ein wenig – die zwei nächsten Fragen beantwortet: Welche konkreten Anwendungsfälle gibt es bereits heute und welche Anwendungsszenarien sehen Sie in der Zukunft?
Frank Schlehuber: Unser Projekt Caruso war ein Testballon, um herauszufinden, wie ernst es den Fahrzeugherstellern mit der Weitergabe von Daten und der Öffnung gegenüber Drittanbietern ist. Mittlerweile hat Caruso Dataplace Verträge mit vielen europäischen und einigen asiatischen Herstellern. Diese Verträge decken aber nicht immer die gesamte Flotte ab oder werden laufend in der Ausgestaltung geändert.
Und das zeigt auch schon eines der wesentlichen Probleme: Wenn eine Versicherung z.B. auf Basis der Plattform ihre „Pay-as-you-drive“-Tarife aufbaut und der betreffende Hersteller plötzlich keine Daten mehr zur Verfügung stellt, sind alle Fahrer des entsprechenden Fabrikats ausgeschlossen. Die Fahrzeughersteller haben bei diesem Thema so viel Macht, dass sie Geschäftsmodelle beliebig an- und abschalten können. Das ist das Hauptproblem. Bezüglich der Geschäftsmodelle sind wir deshalb erst ganz am Anfang und der Versicherungsbereich gewinnt zunehmend an Relevanz. Dies umfasst beispielsweise: Wo ist der Unfall passiert? Wann war der Impact? Wie stark war dieser Impact?
IfA: … und vielleicht könnten die Daten dann auch zur entsprechenden Werkstatt geleitet werden?
Frank Schlehuber: Ja, das ist dann die Schadensteuerung und bereits einen Schritt weitergedacht. Das bezeichne ich dann als Fleet Management. Zu diesem Thema habe ich mit vielen Flotten gesprochen, zum Beispiel mit ALD. Sie haben Vorstellungen, wie sie ihren Fuhrpark managen wollen und hätten auch gerne diese Daten. Daher kämpfen wir unter anderem gemeinsam mit Versicherungen und Leasinganbietern in Brüssel für eine derartige Gesetzgebung. Beispielsweise wünschen sich zahlreiche Fleet Management Anbieter auch Zugriff auf die Daten aus den Fahrzeugen. Allerdings erhalten sie diese zurzeit nicht von allen, was der Grund dafür ist, dass sie eigene Boxen in den Fahrzeugen installieren.
IfA: Sie meinen OBD-Dongles?
Frank Schlehuber: Ja, OBD-Dongles wären eine Lösung, haben aber keine Zukunft, da die OBD-Schnittstellen zunehmend verschlossen sind. Alle neuen Fahrzeuge haben mittlerweile Gateways für den autorisierten Zugriff of die OBD-Schnittstelle. Das wurde zwar vom EuGH gekippt – nicht die Gateways, sondern die Art und Weise, wie sie eingesetzt werden. Aber machen wir uns nichts vor: Die Dongles an der OBD-Schnittstelle sind eine suboptimale Lösung, da diese nicht für ein permanentes Datenmanagement nach außen konzipiert wurde. Diese Schnittstelle ist für die Werkstatt gedacht und stellt ein Einfallstor für Cybersicherheitsrisiken dar, die niemand wirklich möchte. Auch die Unternehmen, die wir vertreten, haben hierzu eine klare Position. Eigentlich wollen wir eine saubere Lösung über die Fahrzeughersteller, die die Daten dann aber auch diskriminierungsfrei verteilen müssen.
IfA: Sie vertreten die Automobilzulieferer und haben bereits geschildert, dass es bestimmte Anwendungsszenarien im Bereich des Engineerings gibt. Gibt es davon losgelöst noch andere Anwendungsszenarien, weshalb Automobilzulieferer Interesse an diesen Daten haben?
Frank Schlehuber: Es geht im Wesentlichen um ein ganz anderes Thema. Wir reden immer von neuen Business Cases und Anwendungsfällen. Was wir jedoch nicht oder nicht ausreichend diskutieren, ist, dass der Zugang zu diesen Fahrzeugdaten im Prinzip Dritte auch von einem bestehenden Reparaturmarkt ausschließen kann. Wenn ein Fahrzeughersteller beispielsweise der Einzige ist, der sehen kann, was mit einem Fahrzeug los ist – Stichwort präventive Wartung – oder wenn er weiß, wann das Fahrzeug zum Service muss und die passenden Angebote direkt auf den Bildschirm im Fahrzeug schickt, wird das den Zugang zum Markt für andere einschränken. Wenn der Kunde dann die Möglichkeit hat, direkt einen Termin zu buchen, schränkt das den Zugang zum Markt für andere Anbieter erheblich ein.
IfA: Insbesondere für freie Werkstätten?
Frank Schlehuber: Ja, besonders für freie Werkstätten. Momentan macht der freie Reparaturmarkt etwa 60 % aus. Das variiert in Europa zwar je nach Land, aber grob betrachtet ist das der Rahmen. Wir sprechen von einem Geschäftsvolumen von insgesamt ungefähr 240 Milliarden Euro für Teile und Dienstleistungen in Europa. Die Konnektivität kann den Zugang zu diesem existierenden Markt maßgeblich beeinflussen. Wir Zulieferer sind daran interessiert, dass Mobilität bezahlbar bleibt. Das kann nur durch Wettbewerb im Reparaturmarkt erreicht werden. Daher kämpfen wir dafür, dass der Zugang zu diesem Markt bestehen bleibt, beispielsweise durch Konnektivität, was nur ein Punkt von vielen ist.
Mit dem Aufkommen von Elektrofahrzeugen gibt es generell weniger Reparaturbedarf und zudem liegt viel Wissen bei den Fahrzeugherstellern, während der freie Reparaturmarkt ein wenig hinterherhinkt. Bei der Konnektivität und der Nutzung von fahrzeuggenerierten Daten sehen wir einen weiteren Sargnagel für den unabhängigen Aftermarket (IAM) und genau das wollen wir vermeiden, was auch der Grund dafür ist, dass wir so hart kämpfen.
Hier ist der überarbeitete Abschnitt aus dem Interview:
IfA: Das heißt, für die Zulieferer geht es also auch um ein indirektes Interesse? Sie sagen: Es ist wichtig, dass der freie Markt bestehen bleibt und wettbewerbsfähig ist, weil Automobilzulieferer im freien Markt mit Ident-Teilen und Nachbauteilen deutlich mehr verdienen als mit Original-Ersatzteilen, die an die Automobilhersteller geliefert werden. Ist das korrekt zusammengefasst?
Frank Schlehuber: Ja, das ist richtig. Der Kanal ist wirtschaftlich attraktiv. Aber wir betrachten auch den gesamten Lebenszyklus von Fahrzeugen, also von der Erstausrüstung bis zum Ersatzteilmarkt. Mit Ausnahme der Hersteller von reinen Verschleißteilen liefern Zulieferer grob ca. 85 Prozent des Volumens in die Erstausrüstung und den Rest als Ersatzteile an Fahrzeughersteller und den freien Handel. Dabei hängen die Volumen in der Erstausrüstung stark von den Gesamtkosten des Fahrzeugbesitzes, den Total Costs of Ownership, ab. Diese Kosten entscheiden darüber, wie viele Menschen sich individuelle Mobilität leisten können. Fahrzeughersteller wollen den Reparaturmarkt zunehmend kontrollieren, doch ohne einen kreativen, unabhängigen Aftermarket wird Autofahren so teuer, dass der Markt sich selbst schwächt. Das sehe ich in allen Diskussionen, die ich mit Versicherungen führe, bei denen Exklusivität von Ersatzteilen oft eine Rolle spielt. Ein Beispiel hierfür sind designgeschützte Teile, für die es heute leider nur in einigen EU Staaten eine Reparaturklausel gibt. Das soll in der Neufassung der Richtlinie zwar geändert werden, aber alleine das entschiedene Vorgehen von Mercedes vor Gericht, mit dem Ziel zu verhindern, dass solche Teile im freien Handel verkauft werden können, zeigt, mit welchen Bandagen hier gekämpft wird.
Genau das wollen wir nicht. Wir sagen: Autofahren muss bezahlbar sein! Wenn der Kunde bei Reparatur und Service keine Wahl mehr hat, könnte ein Teil der Bevölkerung von individueller Mobilität ausgeschlossen werden, was zu massiven gesellschaftlichen Problemen speziell im nichturbanen Bereich führen kann. Es geht also um mehr als nur finanzielle Interessen.
IfA: Ihre Ausführungen waren umfangreich und wir haben verschiedene Wertschöpfungsstufen einbezogen. Nun ziehen wir einen Strich darunter und formulieren zentrale Forderungen – an die Politik, die Hersteller, Datenplattformen und Fahrzeughalter. In diesem Kontext sind viele Stakeholder denkbar. Welche Forderungen würden Sie an dieser Stelle formulieren?
Frank Schlehuber: Unsere Forderungen richten sich klar an die Politik. Neben dem Data Act benötigen wir sektorspezifische Regulierungen, die Transparenz über alle verfügbaren Daten schaffen. Heute wissen nur die Fahrzeughersteller genau, welche Daten überhaupt verfügbar sind oder verfügbar gemacht werden können. Zudem muss eine Verpflichtung bestehen, dass die Fahrzeughersteller ihre Daten auch Dritten zugänglich machen. Dies muss nicht kostenlos sein, aber zu einem fairen und diskriminierungsfreien Tarif – und nicht nur im Paket. Das ist ein zentraler Punkt. Auch ein Monitoring durch die EU-Kommission ist wichtig, mit dem Ziel sich auf einen gemeinsamen Datensatz zu einigen, der als Empfehlung für die Fahrzeughersteller dient und regelmäßig an die Marktverhältnisse angepasst wird. Ich schlage vor, mit ca. 40 bis 50 Datenpunkte zu beginnen, die von allen neuen Fahrzeugen unterstützt werden sollten, um datengestützte Geschäftsmodelle zu ermöglichen. Ein einzelner gemeinsamer Datenpunkt reicht nicht aus, um markenübergreifende Services anzubieten.
Zum Thema Datentreuhänder: Ich bin strikt dagegen, ein weiteres Level einzuführen, da ich es für unnötig halte. Zwar steht das im deutschen Koalitionsvertrag und der TÜV ist enthusiastisch, dieses Modell flächendeckend einzuführen, aber nicht jeder teilt diese Meinung. Meiner Ansicht nach ist dieses Konzept nicht praktikabel. Vor zwei Wochen wurde das Thema von TÜV-Mitarbeitern in einer unserer Arbeitsgruppen vorgetragen und ich muss sagen, dass es noch unausgereift ist. Die Fahrzeughersteller haben bereits Strukturen über ihre Backends geschaffen. Wir sollten diese nutzen, statt in fünf Jahren immer noch darüber zu diskutieren. Es hat lange gedauert, andere davon zu überzeugen, dass wir keine eigene Schnittstelle im Fahrzeug benötigen. Eine solche Schnittstelle würde mindestens zehn Jahre Normierung erfordern und bis dahin wäre das Thema längst veraltet. Der Schlüssel liegt bei den Fahrzeugherstellern: Sie sollten den Zugang zu den Fahrzeugdaten sicherstellen, die dann diskriminierungsfrei verteilt werden. Nur so entsteht ein wirklicher Mehrwert.
IfA: Es kam zwar bereits zur Sprache, aber: Wie bewerten Sie das europäische Datengesetz (Data Act), das den Zugriff auf durch vernetzte Geräte generierte Daten regelt?
Frank Schlehuber: Ich erkläre Ihnen gerne, wo das Problem beim Data Act liegt. Was macht dieser Data Act? Er stellt den Verbraucher in den Mittelpunkt, als „Master of Data“. Jeder Datenhalter – also derjenige, der die Daten besitzt – ist verpflichtet, diese auf Anforderung des Nutzers an Dritte weiterzugeben. Das ist das Grundprinzip des Data Acts. Das Hauptproblem des Data Acts im Automobilbereich ist jedoch, dass der Nutzer oft gar nicht weiß, welche Daten er weitergeben kann. Selbst wenn er es weiß, stammt sein Wissen ausschließlich vom Fahrzeughersteller. Das ist problematisch und macht den Data Act aus unserer Sicht zu kurz greifend. Der Data Act berücksichtigt auch nicht, dass ein Datenhalter möglicherweise in einem Wettbewerbsverhältnis zu einem Drittanbieter steht. Er unterscheidet nur zwischen Nutzer und Datenhalter und ohne den aktiven Nutzer funktioniert das gesamte Konzept nicht.
Außerdem gibt es im Data Act eine Formulierung, konkret in Artikel 4.6, die kurz vor Schluss eingefügt wurde. Diese Formulierung könnte den Fahrzeugherstellern ermöglichen, sich darauf zu berufen und bestimmte Daten nicht weiterzugeben, wenn sie keine Vereinbarung mit dem Nutzer treffen. Hier gibt es zwar unterschiedliche Meinungen zur Auslegung, aber das Risiko besteht, dass wir im Automobilbereich mit dem Data Act möglicherweise gar nichts erreichen. Daher sagen wir, dass ohne eine sektorspezifische Regulierung der Grundgedanke der verstärkten Datennutzung in unserem Bereich nicht umgesetzt werden kann. Wir benötigen deshalb eine sektorspezifische Regulierung. Gegen den Data Act an sich bin ich allerdings nicht. Er ist eigentlich eine gute Sache. Er regelt den fairen Austausch von Daten. Aber die Frage bleibt, wie das in unserem Sektor wirksam umgesetzt werden kann.
IfA: Zum Abschluss noch eine Bitte: Vervollständigen Sie diesen Satz: „Der Zugriff auf fahrzeuggenerierte Daten ist für die von mir vertretenen Unternehmen … (wichtig/unwichtig, etc.), da …“!
Frank Schlehuber: Der Zugriff auf fahrzeuggenerierte Daten ist für die von mir vertretenen Unternehmen wichtig, da der Zugang zu Daten auch den Zugang zum Markt bedeutet.
IfA: Vielen Dank für das Interview!