Zugang zu fahrzeuggenerierten Daten

Interviewreihe des Instituts für Automobilwirtschaft (IfA)

Interview mit Herrn Alex Jan Erdmann, MAHLE Aftermarket GmbH, am 28. Februar 2024.

Das Institut für Automobilwirtschaft (IfA) ist Teil des bundesweiten Transformations-Hubs „DiSerHub“. DiSerHub besteht aus fünf Forschungsinstitutionen, die gemeinsam an einer verbesserten, nachhaltigeren Nutzung von Automobilen mit Hilfe digitaler Services und digitaler Geschäftsmodelle arbeiten. In diesem Kontext stellen fahrzeuggenerierte Daten eine Grundvoraussetzung dar, um das Angebotsportfolio um datenbasierte Geschäftsmodelle zu erweitern. Es lassen sich diverse Potenziale identifizieren, mit denen Branchenakteure Daten im Rahmen neuer Geschäftsmodelle monetarisiert werden können. Mit dieser Interviewreihe möchten die Verantwortlichen des Instituts für Automobilwirtschaft (IfA) erfassen, welchen Blickwinkel unterschiedliche Branchenakteure zum Thema „Zugang zu fahrzeuggenerierten Daten“ einnehmen. Das Interview führten Jan Ole Thomas und David Sosto Archimio vom Institut für Automobilwirtschaft (IfA).

IfA: Hat Ihr Unternehmen Zugang zu fahrzeuggenerierten Daten?

Alex Jan Erdmann: Ja.

IfA: Auf welche fahrzeuggenerierten Daten hat Ihr Unternehmen wie, in welchem Umfang und in welcher Qualität Zugriff? Vielleicht auch mit dem einen oder anderen Beispiel.

Alex Jan Erdmann: Mahle ist Mitbegründer und Teilnehmer verschiedener Initiativen und Projekte wie beispielsweise CARMUNICATION . Daher haben wir Zugriff auf Datenpunkte, die aber aus unserer Sicht nicht ausreichend sind und weder harmonisiert noch standardisiert sind. Der einzige Datenpunkt, der standardisiert ist, ist der Kilometerstand. Und auch nicht alle Fahrzeughersteller kommunizieren mit Plattformen oder haben damit Übereinkünfte. Daneben haben wir als Entwickler und auch als Produzent von Diagnosetools vertragliche Agreements mit den Fahrzeugherstellern zum Reparatur- und Wartungsdatenzugang und zur Entwicklung der Tools.

IfA: Sie haben gesagt, es gibt gewisse abgestimmte Datenpunkte und haben ergänzt, dass es nur einen standardisierten Wert gibt, den Kilometerstand. Darüber hinaus gibt es keine weitere Standardisierung in diesem Sinne. Können Sie noch ein paar Beispiele nennen, was weitere Datenpunkte sind, auf die Sie in diesem Umfang zugreifen?

Alex Jan Erdmann: Das sind 42 Datenpunkte als Branchenkompromiss, darunter eben der Kilometerstand. Ansonsten fahrzeugspezifische Datenpunkte wie der Reifendruck, Türen geschlossen oder offen, oder ähnliches. Kein Quell für Brancheninnovationen.

IfA: Nochmal zurück zum Thema Standardisierung. Das bedeutet beispielsweise, Sie bekommen bspw. von BMW andere Datenpunkte zur Verfügung gestellt als von Mercedes-Benz oder Audi – und die einzige Überschneidung ist dabei der Kilometerstand? Oder geht es darum, dass Hersteller teilweise die gleichen Daten zur Verfügung stellen, aber eben in einer anderen Form?

Alex Jan Erdmann: Da wäre dann die Unterscheidung zwischen der Harmonisierung und der Standardisierung. Beim Kilometerstand wäre es das gleiche Format, das Sie auslesen und dann eins zu eins miteinander vergleichen können. Ohne das, was wir beispielsweise erbringen, als Tool Manufacturer, dass wir quasi die Sprache des Fahrzeuges gemeinsam mit den Reparatur- und Wartungsinformationen übersetzen und dann erst die Vergleichbarkeit herstellen.

IfA: Dann müssen Sie ein Stück weit Aufwand investieren, um die Daten für die Zwecke für die Sie sie nutzen möchten, dann auch nutzen zu können?

Alex Jan Erdmann: Genau. Vor allen Dingen die Multi-Brand Use Cases, und die Vision, dass denjenigen, die vielleicht nicht die Mittel für bspw. die Tools haben und auch branchenfremden Innovatoren diese Möglichkeiten geboten werden. Dem würden wir sehr nahekommen, wenn das alles ein Format wäre.

IfA: Sie hatten erwähnt, dass Sie im Rahmen der Entwicklung der Diagnosetools auch mit OEM Verträge unterhalten, um die Daten für die Entwicklung der Diagnosetools nutzen zu dürfen. Sprechen wir dann auch von diesen Daten, die eben auf Plattformen zur Verfügung gestellt werden? Oder gibt es darüber hinaus weitere Daten – oder lesen Sie die Daten selbst aus mit Ihren Geräten, wenn Fahrzeuge in der Werkstatt sind und nutzen diese dann?

Alex Jan Erdmann: Da müssen wir unterscheiden: Zum einen erwerben wir natürlich Reparatur- und Wartungsinformationen beim Fahrzeughersteller zur Entwicklung unserer Tools. Diese werden entsprechend genutzt, um die Daten aus den Fahrzeugen auszulesen und dann für die Diagnose zu verwenden. Diese Trennung haben wir, und besonders Ersteres ist ja auch gesetzlich verpflichtend. Zweiteres genau genommen auch, aber Ersteres, also der Erwerb von Reparatur- und Wartungsinformationen zur Entwicklung von Tools, funktioniert. Dabei handelt es sich natürlich um langfristige B2B Verträge. Aber natürlich würden wir uns natürlich deutlich mehr Möglichkeiten wünschen, vielleicht auch über unsere Tools hinaus, um Services oder ähnliches aus den besagten fahrzeuggenerierten Daten zu generieren.

IfA: Wir haben verstanden, dass Sie verschiedene Daten heranziehen, beispielsweise Reparatur- und Wartungsinformationen, die Ihnen von Seite der Hersteller zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus gibt es die Plattformen, wo weitere fahrzeuggenerierte Datenpunkte zur Verfügung stehen. Welche Anwendungsszenarien bzw. Business Cases finden auf Basis dieser fahrzeuggenerierten Daten bereits heute statt?

Alex Jan Erdmann: Leider haben wir dort relativ wenig abseits des „normalen“ Business mit den Diagnosetools, welches ich beschrieben hatte. Wir haben aktuell keine Geschäftsmodelle, welche unabhängig sind vom OBD-Dongle und den hieraus erhaltenen Informationen aber forschen mit Hochdruck daran. Beispielsweise ist unsere bekannte Remote Diagnose immer noch abhängig von den Möglichkeiten des OEM. Allzu viele Business Case Szenarien neben der normalen Tool-Entwicklung haben wir noch nicht.

IfA: Angenommen, Sie haben Zugriff auf die fahrzeuggenerierten Daten, vielleicht auch noch weitere standardisierte Datenpunkte. Welche weiteren Anwendungsszenarien bzw. Business Cases sehen Sie künftig?

Alex Jan Erdmann: Was wir erwarten würden, auch auf unserem Metier, wäre zum einen der Punkt Predictive Maintenance, also der Fahrzeugwartung im Voraus, wo sich jedes Unternehmen durch seine eigene Expertise – und wir als Zulieferer auch in der Produktion von Komponenten – sehr unterscheiden und jeder seine eigenen USPs herausarbeiten könnte. Natürlich auch in Kombination mit der Teilebestellung in der Werkstatt im Voraus. Wie können wir diesen Prozess entsprechend streamlinen, wie können wir es für die Werkstätten entsprechend einfacher und für die Kunden deutlich schneller machen? Mehr Remote-Zugriffe über unsere Tools für unabhängige Serviceanbieter, denen wir auch entsprechend mehr Möglichkeiten anbieten könnten. Zum Beispiel die Nutzung: Weniger als Tool-Hersteller, mehr als Zulieferer für Werkstätten, sodass wir hier auch unsere Komponenten-Tests und Verbesserungen mit Flottendaten deutlich vorantreiben könnten. Und auch mit fahrzeuggenerierten Daten von großen Flotten feststellen könnten, wo häufige Defekte auftreten und welche Daten korrelieren. Ein besonderer Fall bei uns ist das Battery State-of-Health-Measurement, bei dem wir den State-of-Health einer Fahrzeugbatterie messen. Dies funktioniert mit unserem Gerät Battery E-Health Charge, das einen kurzen Ladezyklus laufen lässt und diesen dann mit den OBD-Daten vergleicht. Dies ist auch ein gutes Beispiel für Standardisierung und Harmonisierung, da würden wir das sehr begrüßen und wir glauben auch, dass dies sicherheitsrelevant ist, die gleichen Batteriedaten im Fahrzeug zu haben. Zum Beispiel um Eventdaten aufzuzeichnen, d. h. wann wurde mit einer Batterie was gemacht. Wir, als Mahle Gesamtunternehmen, bieten Ladelösungen an und wir glauben auch, dass mit den Fahrzeugdaten intelligente Ladelösungen angeboten werden können, die sowohl für das Netz, als auch für den Kunden einen Mehrwert bieten. Und weitere Punkte wie Road Side Assistance, also entsprechende Pannenhilfe, die wir durch bessere Fahrzeugdaten und mit Remote-Zugriff verbessern und unterstützen könnten.

IfA: Bleiben wir in Ihrer Rolle als Automobilzulieferer. Sie hatten angesprochen, dass Interesse daran besteht, beispielsweise auf Basis von fahrzeuggenerierten Daten die eigenen Komponenten hinsichtlich ihrer Beschaffenheit zu prüfen. Findet das heutzutage so nicht statt oder gibt es in diesem Bereich schon Daten?

Alex Jan Erdmann: Aktuell nehmen wir alle Daten, die per OBD ausgelesen werden, aber geraten dabei natürlich an gewisse Limits. Meist lassen wir Testflotten laufen und schauen dabei, wann gewisse Schäden oder Auffälligkeiten auftreten. Die rein mechanische Feststellung von einem Schaden ist natürlich deutlich ineffektiver als eine rein digitale Feststellung. Beispielsweise in einem Fahrzeug, wo Parameter einen Schaden ankündigen können oder auch eine gewisse Nachhaltigkeit bei der Haltbarkeit. Und die Frage, wie können wir bestimmte auf Erfahrungen beruhende Tauschintervalle, die wir heute haben, datenbasiert feststellen, sodass ein Teil deutlich länger damit umgehen kann.

IfA: Sie sind aus dem Bereich Aftermarket Solutions, nichtdestotrotz gehört es zu Mahle als Automobilzulieferer.

Alex Jan Erdmann: Wir arbeiten sehr eng zusammen und darin liegt unsere große Kompetenz im Aftermarket. Bei uns im Zuliefererunternehmen ist klar, dass wenn die Kollegen eines Geschäftsbereichs, der nicht Aftermarket ist, ein Erstausrüstungsteil entwickeln, ist der Dialog mit der Aftermarket Abteilung vorhanden, wie es mit dem Servicemarkt und der Nachrüstung aussieht. Das ist ein sehr wertvoller Erfahrungstausch. Also auch, was die Daten aus dem Aftermarket sind und was die Entwicklungsdaten.

IfA: Steigen wir nochmal beim Battery State of Health ein. Sie hatten gesagt es wäre möglich, auf Basis von fahrzeuggenerierten Daten eine bessere Bestandsaufnahme der Batterie vorzunehmen. Welche Daten wären dafür von vonnöten?

Alex Jan Erdmann: Das wäre ein Bereich. Das soll nun keine Anklage gegen Fahrzeughersteller sein – jeder kann aktuell selbst definieren, welche Daten er herausgibt und welche nicht. Was wir natürlich sehen, gerade vor dem Hintergrund der mangelhaften Harmonisierung, ist, dass zum Teil Fahrzeuge vom gleichen Hersteller unterschiedliche Modelle unterschiedliche Daten ausgeben. Zum Beispiel sind die Batterietemperatur oder ähnliche direkte Batteriepunkte sehr relevant. Was auch für uns sehr interessant ist, sind auch generelle Punkte zum Umgang des Fahrzeugs, beispielsweise hat der Fahrstil einen enormen Einfluss. Ebenso Eventdaten: Wann ist etwas passiert in der Batterie – das können wir aktuell nicht offiziell aus dem Fahrzeug auslesen, aber es würde uns sehr helfen, den ein oder anderen Schaden zu entdecken. Da haben wir auch sehr tolle, junge, schnelle Kompetitoren in der Branche, die genau das Gleiche machen wie wir und wir stellen allesamt den ein oder anderen versteckten Schaden an einer Batterie fest, der durch die offizielle SoH Messung nicht aufgedeckt werden konnte.

IfA: Mit welchen Herausforderungen sehen Sie sich innerhalb der Erschließung datenbasierter Geschäftsmodelle konfrontiert (aktuell und perspektivisch)?

Alex Jan Erdmann: Aktuell sehen wir ganz klar den Mangel am Zugang zu den Fahrzeugdaten, aber eben auch den Punkt der Funktionen und Ressourcen im Fahrzeug von den Fahrzeugherstellern. Dazu sehen wir nicht, dass es beispielsweise über die Branche Entwicklungsplattformen für In-Fahrzeug-Applikationen gibt. Das wäre ein Anliegen von uns. Wir verstehen natürlich, dass dahinter Cybersicherheitsprozesse und Autorisierungsprozesse stehen. Nichtdestotrotz wäre es zu begrüßen, wenn berechtigte Drittanbieter Applikationen ins Fahrzeug bringen können und der Plattformanbieter Fahrzeughersteller daran mitverdient. Dafür würden wir als Zulieferer und auch für unsere Kunden jegliche Berechtigungen und alle nötigen Schritte in Kauf nehmen.
Auch weiterhin aktuell ist die Standardisierung in vielen Dingen. Beispielsweise bei den Werkstattkunden die Cybersicherheitsprozesse. Die Autorisierung ist zwischen den Fahrzeugherstellern aktuell sehr heterogen. Als Servicetoolentwickler haben wir die individuellen Verträge und bringen dann Vereinbarkeitsleistungen, indem wir jedes Autorisierungsschema des Fahrzeugherstellers in eine Lösung packen. Beispiel ist der Mahle Cyber Security Pass. Als Werkstatt muss man sich nur einmal über den Pass anmelden und kann dann auf jedes Cybersicherheitsportal der Hersteller zugreifen. Den Prozess hätten wir gerne standardisiert, denn Cybersecurity darf kein Geschäftsmodell sein. Die Authentifizierung (Wer bin ich?) und Autorisierung (Was darf ich?) sollten unabhängige Stellen erfüllen. In die lange Zukunft gesehen, befürchten wir ein gewisses Monopol, dass es immer weniger freie Werkstätten geben wird und dass diese sich weniger mit modernen Fahrzeugen befassen können und wollen. Ein Baujahr können wir dabei nicht nennen, aber ich würde sagen, aktuelle Fahrzeuge haben schon sehr viele Hürden, sodass irgendwann der Service sehr teuer und mit sehr viel Aufwand für eine freie Werkstatt verbunden sein wird.

IfA: In Deutschland sind es ca. doppelt so viele freie Werkstätten wie markengebundene Werkstätten. Die freien Werkstätten stehen natürlich vor ganz anderen Herausforderungen, was das Thema Umgang mit und Zugriff auf fahrzeuggenerierte Daten angeht. Welche Lösungen können Sie sich in diesem Kontext vorstellen?

Alex Jan Erdmann: Mit entsprechenden Tools beispielsweise das Thema Kalibrierung, das wir anbieten: Sehr schnell, in unserem Fall algorithmusbasiert, das Rekalibrieren von adaptiven Fahrsystem zu ermöglichen. Ich glaube, so etwas bietet Werkstätten auch eine gewisse Antriebsunabhängigkeit und ermöglicht Arbeiten an modernen Fahrzeugen, die physisch notwendig sind. Hier wird die datenbasierte Schadensanalyse Werkstätten Auslastung in der Zukunft bieten. Als zweiter Punkt können wir zum Thema Autorisierung und Cybersicherheit enorm viel beitragen mit unseren Tools. Hier wird sich in der Branche enorm viel ändern. Es wird wahrscheinlich keinen unautorisierten oder unüberwachten Zugriff auf das Fahrzeug geben, das ist auch gut so. Die Fahrzeuge werden immer komplizierter, die digitale Architektur wird immer schlanker und wenn dort einmal ein Missbrauch geschieht, hat er sehr weitreichende Folgen. Natürlich auch mit Blick auf adaptive Fahrsysteme und den Verkehr der Zukunft. Dort können wir viel leisten, indem wir es für die Werkstätten einfacher machen, dass diese ihre Berechtigungen und Qualifikationen, die sie übrigens seit jeher haben, nachweisen können. Wir treten hier auch für regulatorische Veränderungen ein. Zum einen, dass wir allgemein in verschiedenen Gesetzen immer wieder die Punkte unserer Kunden adressieren und dafür auch in Berlin und Brüssel eintreten.

IfA: Sehen Sie den optimalen Weg hinsichtlich des Umgangs mit solchen Daten über einen Datentreuhänder oder Plattformen?

Alex Jan Erdmann: Das muss der Markt entscheiden. Wir glauben, Datentreuhänder können für gewisse, spezifische Anwendungsfälle hilfreich und wirksam sein. Der Datentreuhänder war bisher für sehr hoheitliche Aufgaben entsprechend in der Diskussion und kann eine gute Lösung sein für den Einstieg von Unternehmen, die auf sichere Art und Weise mit Fahrzeugdaten arbeiten möchten. Dafür kann das Treuhändermodell eine gute Lösung sein, es sollte aber nicht die einzige Lösung sein. Da liegt, glaube ich, die Innovation im Sektor, dass man sich auf verschiedene Lösungen einigt. Uns ist bewusst, dass die Harmonisierung und Standardisierung sehr große Aufgaben für die Hersteller sind. Wir wollen dennoch weiterhin motivieren und ich glaube auch, dass die Branche von den gesetzlichen Anforderungen profitieren könnte.

IfA: Sie haben explizit die In-Fahrzeug-Apps bei den kurzfristigen Herausforderungen angesprochen. Momentan kann man mit seinem Smartphone verschiedene Apps verschiedener Anbieter auf sein Smartphone laden. In Fahrzeugen ist dies nur bedingt möglich – nur, soweit es der Hersteller freigibt. Was für Apps könnten diese sein?

Alex Jan Erdmann: Natürlich ist das aktuell Zukunftsmusik. Wir kennen auch häufig in der Branche den Vergleich zwischen Smartphone und Automobil. Auch da nehmen wir die Punkte Cybersicherheit und Autorisierung sehr ernst. Im Allgemeinen herrscht, denke ich, Branchenverständnis, wie kompliziert ein Fahrzeug ist und die 1:1-Vergleichbarkeit zum Mobiltelefon ist schwierig. Diesen Prozess müssen wir gemeinsam mit den Fahrzeugherstellern anstoßen. Das wird wahrscheinlich anders laufen, wie im Mobilfunkbereich. Wir sehen natürlich auch, dass Android Automotive als Betriebssystem im Fahrzeugbereich dies bereits Drittanbietern ermöglicht und, dass es sich auch sehr weit verbreitet. Aber inwiefern dies die Zukunftslösung ist, wissen wir nicht – auch aufgrund von fraglichen Marktpraktiken, die Android angewendet hat. Unter dem Stichpunkt der Cybersicherheit und Autorisierung kann das sehr schwierig werden. Als Beispiel: Vielleicht gibt es eine Battery State-of-Health App, die Sie bereits in Ihrem Fahrzeug haben. Oder eine Service Applikation, die im Fahrzeug integriert ist, über die man eine Terminbuchung, oder Dienste aus dem Bereich des Predictive Maintenance und damit auch Predictive Part Ordering im Fahrzeug nutzen könnte.

IfA: Welche konkreten Forderungen stellen Sie an die relevanten Stakeholder (z. B. Politik, Hersteller, Datentreuhänder, Fahrzeughalter …)?

Alex Jan Erdmann: Beginnen wir mit der Politik: Für uns ist es außerordentlich wichtig und wir würden uns ausdrücklich vom europäischen Gesetzgeber den Entwurf einer sektorspezifischen Regulierung zum Zugang von Fahrzeugdaten, Funktionen und Ressourcen wünschen. Uns ist bekannt, dass dies ein strittiges Thema ist. Dennoch glauben wir, dass dort enormes Potential herrscht. Die Gesetzgebung hinkt eigentlich immer hinterher und von daher gilt es gewisse Begriffe wie Daten, Ressourcen und Funktionen zu standardisieren. Wir würden uns dies in der nächsten Legislaturperiode wünschen und laden die Fahrzeughersteller zum Dialog und zur Kompromissfindung ein, um auch mehr Sicherheit zu schaffen, auch gegen andere Marktteilnehmer oder auch nicht-europäische Fahrzeughersteller, die die Themen Sicherheit, Cybersicherheit und Verkehrssicherheit keinesfalls so betonen wie die europäischen Pendants. Zu den Forderungen gegenüber den Fahrzeugherstellern: Sich vielleicht als Teil beziehungsweise als Kopf des Automotiven Ökosystems zu etablieren. Also den Zugang zu Daten und Ressourcen nichtdiskriminierend, für ein faires Pricing, allen Berechtigten, die Autorisierungsprozesse und Überprüfungsprozesse durchlaufen, anzubieten. Wir glauben, dahinter kann auch ein sehr lukratives Geschäftsmodell stecken. An allen digitalen Produkten, die wir heute erwerben, verdient derjenige, der das System bereitstellt, einen erheblichen Betrag. Eine zweite Forderung wäre der politische Widerstand gegen die Regulierung mit Blick auf die sich veränderten Umstände und auch auf die drohenden Rechtsstreitigkeiten, die wir aktuell im Sektor haben. Diese sind lähmend und auch gefährlich, weil sie eben aktuelle Lösungen als nichtig erklären und ein gewisses Vakuum erzeugen. Hier würden wir fordern, dass man das aufgibt und gemeinsam an Standardisierungsprozessen arbeitet. Die Forderung für die Fahrzeughalter ist, dass ihnen das Recht von allen Beteiligten gegeben wird, über die Nutzung der eigenen Daten vollumfänglich verfügen zu können. Alle Beteiligten, sowohl Fahrzeughersteller als auch Zulieferer, die ein sehr starkes ökonomisches Interesse haben, daran Ablehnungsmöglichkeiten als auch Zustimmungsmöglichkeiten zu geben und die Möglichkeit zum sehr konkreten Profit. Beispielsweise, wenn wir von Nutzerinnen und Nutzern profitieren, die das Fahrzeug auf der Straße bewegen, um Mahle-Komponenten zu verbessern, muss sich das natürlich ökonomisch niederschlagen. Abschließend als Forderung für die Zulieferer: Ihnen müssen Möglichkeit gegeben werden, sei es, unsere Tools oder ähnliches zu entwickeln, und eben auch in die Prozesse des Cyber-Security-Managements beim Fahrzeughersteller eingebunden zu werden. Auch da gleichzeitig die Forderung an die Hersteller, wirklich dieses Ökosystem zu sehen, wo es natürlich Konkurrenzen und sehr harte Verhandlungen gibt, aber gleichzeitig auch Abhängigkeiten voneinander. Ich glaube, davon könnte der gesamte europäische Automotive Sektor erheblich profitieren, auch gegenüber den anderen aufstrebenden Regionen. Denn was uns eint bei allem Konflikt sind starke Werte wie Verbraucher- und Datenschutz, oder Verkehrssicherheit. Diese wollen wir alle, Hersteller wie Zulieferer und Serviceanbieter gewahrt wissen Im Vorsorgeprinzip bei unserer Daten- und Funktionsnutzung. Andere Kontinente gehen damit anders um und experimentieren lieber, im Sinne des Nachsorgeprinzips, zur Not auch mit der Gesundheit der Insassen.

IfA: Sie haben „Fahrzeughalter“ angesprochen und das Stichwort „sektorspezifische Regulierung“. Wie sehen Sie den Data Act als solchen?

Alex Jan Erdmann: Wir haben auch in der Entstehung mitgearbeitet und bei allen Konsultationsmöglichkeiten und natürlich beim nationalen europäischen Gesetzgeber vorgesprochen. Wir sehen den Data Act außerordentlich positiv. Was wir hervorheben können, ist der Punkt des Artikel 5, dass Nutzer die Daten Ihres Connected Device, dies muss nicht immer nur ein Auto sein, an unabhängige Dritte weitergeben können, um eben von Dritten angebotene Services in Anspruch nehmen zu können. Wir glauben, dass dies ein sehr großer Gewinn ist, aber wie sich dies auf die Automobilindustrie auswirkt, können wir noch nicht wirklich sagen.

IfA: Abschließend würden wir Sie bitten, den folgenden Satz zu vervollständigen: Der Zugriff auf fahrzeuggenerierte Daten ist für mein Unternehmen [wichtig, unwichtig, …], da …

Alex Jan Erdmann: Der Zugriff auf fahrzeuggenerierte Daten ist für mein Unternehmen existenziell, da das Automotive Ökosystem bereits darauf basiert, dass Daten verarbeitet und fahrzeugdatenbasierte Funktionen und Ressourcen genutzt werden. Der Mangel an fairem Wettbewerb wird dazu führen, dass wir weniger Innovationen im Sektor haben, daher auch weniger attraktive Services und Produkte, und damit auch der gesamten Industrie, Fahrzeughersteller miteingenommen, geschadet wird.

Hier gelangen Sie zu einer weiteren Veröffentlichung vom 14. März aus der Interviewreihe.