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Zugang zu fahrzeuggenerierten Daten

Interviewreihe des Instituts für Automobilwirtschaft (IfA)

Interview mit Herrn Dominik Lutter, Coordinator Data and Digitalisation, Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK), am 8. Dezember 2023.

Foto: privat

Das Institut für Automobilwirtschaft (IfA) ist Teil des bundesweiten Transformations-Hubs „DiSerHub“. DiSerHub besteht aus fünf Forschungsinstitutionen, die gemeinsam an einer verbesserten, nachhaltigeren Nutzung von Automobilen mit Hilfe digitaler Services und digitaler Geschäftsmodelle arbeiten. In diesem Kontext stellen fahrzeuggenerierte Daten eine Grundvoraussetzung dar, um das Angebotsportfolio um datenbasierte Geschäftsmodelle zu erweitern. Es lassen sich diverse Potenziale identifizieren, mit denen Branchenakteure Daten im Rahmen neuer Geschäftsmodelle monetarisiert werden können. Mit dieser Interviewreihe möchten die Verantwortlichen des Instituts für Automobilwirtschaft (IfA) erfassen, welchen Blickwinkel unterschiedliche Branchenakteure zum Thema „Zugang zu fahrzeuggenerierten Daten“ einnehmen. Das Interview führten Jan Ole Thomas und David Sosto Archimio vom Institut für Automobilwirtschaft (IfA).

IfA: Als Coordinator Data and Digitalisation des ZDK (Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe) vertreten Sie die Interessen zahlreicher Autohäuser und Werkstätten. Haben die von Ihnen vertretenen Unternehmen Zugang zu fahrzeuggenerierten Daten?

Dominik Lutter: Das lässt sich sowohl mit „Ja“ als auch mit „Nein“ beantworten. Wir müssen diese Frage differenziert betrachten, da es zwei Seiten gibt. Auf der einen Seite stehen die markengebundenen Betriebe – die Autohäuser, die in der Regel die herstellereigenen Systeme nutzen. Das heißt, sie greifen auf das zu, was die Autohersteller den Autohäusern und Vertragspartnern zur Verfügung stellen. Zwar erhalten sie dadurch einen gewissen Zugang zu fahrzeuggenerierten Daten, jedoch ist dieser oft stark eingeschränkt. Eigene Dienstleistungen oder innovative Services zu entwickeln, ist für Autohäuser auf dieser Basis nicht möglich.

Auf der anderen Seite stehen die markenungebundenen Betriebe – also die freien Werkstätten, bei denen die Situation schwieriger ist. Sie sind aktuell darauf angewiesen, dass es Dienstleister, bzw. Datenmarktplätze wie Caruso oder High Mobility gibt, die Fahrzeugdaten von verschiedenen Herstellern sammeln und bereitstellen. Aktuell ist der Kilometerstand jedoch der einzige Datenpunkt, der markenübergreifend verlässlich verfügbar ist. Das Hauptproblem in diesem Bereich ist die fehlende Skalierbarkeit: Die Dienstleistungen und Services, die auf diesen Datenmarktplätzen entwickelt werden sollen, sind kaum skalierbar und beschränken sich daher auf kleine, eigenständige Geschäftsmodelle, die sich nicht breit etablieren lassen. Mit einem einzigen Datenpunkt, wie dem Kilometerstand, kann man einfach nicht viel anfangen. Hinzu kommt, dass es Hersteller gibt, die überhaupt keine Fahrzeugdaten zur Verfügung stellen, auch nicht über Datenmarktplätze. Darunter befinden sich auch deutsche Hersteller, die keinerlei Datenpunkte freigeben. Es gibt also eine große Bandbreite im Zugang zu Daten. Wichtig ist auch zu erwähnen, dass es derzeit keine gesetzliche Verpflichtung zur Bereitstellung solcher Daten gibt. Zwar steht der Data Act bevor und seit 2016 existiert auch das ADAXO-Konzept, früher als „Nevada“ bekannt, das allerdings auf Freiwilligkeit basiert. Dieses Konzept wurde von der Industrie vorgeschlagen und beruht darauf, dass die Datenpunkte freiwillig bereitgestellt werden. Doch wie wir heute sehen, funktioniert das in der Praxis nicht. Also lautet die Antwort: Ja und Nein.

IfA: Somit ist es also wichtig, zwischen markengebundenen Betrieben, die eng mit den Herstellern zusammenarbeiten, und freien Betrieben zu unterscheiden. Einige ausgewählte Daten stehen demnach zur Verfügung. Dennoch bleibt die grundsätzliche Frage: An welchen fahrzeuggenerierten Daten sind die von Ihnen vertretenen Unternehmen interessiert? In welchem Umfang und in welcher Qualität müssen die Daten vorliegen und was sind denkbare Use Cases?

Dominik Lutter: Um diese Frage zu beantworten, muss ich etwas weiter ausholen. Es gibt viele Use-Cases, die auf Daten basieren, allerdings bisher wenige Geschäftsmodelle entstanden. Nehmen wir als Beispiel unser Smartphone. Ein Smartphone lebt davon, dass viele Anbieter großartige Apps für den Marktplatz bzw. die Plattform entwickeln. Genauso wird es meiner Meinung nach beim Auto sein. Wer irgendwann die beste und nützlichste Charging-App entwickelt und sie ins Fahrzeug bringt, sodass sie dem Kunden einen echten Mehrwert bietet, wird sich auch im Automobilmarkt durchsetzen. Vor diesem Hintergrund ist die Frage „Welche Daten brauchen Sie?“ nicht einfach zu beantworten, da es immer vom Verwendungszweck abhängt. Wenn ich beispielsweise eine Charging-App entwickle, benötige ich nicht alle Fahrzeugdaten. Hier wären Datenpunkte wie der aktuelle Ladezustand, der Verbrauch und eventuell Standortdaten wichtig, um etwa die nächste Ladestation zu finden. Daher legen wir uns nicht pauschal auf alle Fahrzeugdaten fest, sondern fokussieren uns auf die Daten, die der Hersteller selbst nutzt.

Rohdaten, die Hersteller für die Weiterentwicklung von Assistenzsystemen nutzen, sind für uns im Aftermarket weniger relevant. Uns geht es darum, die Daten zu verwenden, die an der Schnittstelle bereitgestellt werden und die der Fahrzeughersteller selbst nutzt, um eigene Services anbieten zu können. Das muss von Use Case zu Use Case differenziert betrachtet werden. Ein App-Entwickler sagte mir einmal, dass sich der Datenbedarf oft erst im Laufe der Entwicklung entscheidet. Zuerst kommt die Idee, dann die App, und schließlich wird festgelegt, welche Daten benötigt werden. Ich halte daher wenig von dem Ansatz, den viele verfolgen – der „Datengießkanne“. Daten wahllos zu verteilen, wird uns nicht automatisch zu großartigen Services verhelfen. Letztlich nützt das keinem, wenn keine Services daraus entstehen können und der Zugang ins Fahrzeug fehlt. Was den Umfang angeht, sagen wir also grundsätzlich: Die Daten, die der Hersteller selbst nutzt, sind für uns ebenfalls relevant.

Zur Qualität: Hier bedeutet „direkter Zugriff aufs Fahrzeug“ für uns, dass wir selbst Apps im Fahrzeug installieren können. Diese Apps sollen sicher betrieben werden und direkt mit unserem eigenen Backend kommunizieren können. Außerdem sollten sie dem Kunden auf dem Display angezeigt werden können und ein Echtzeitzugriff sollte möglich sein. Unsere Vision für Use Cases ist vielfältig: von Reparatur- und Wartungs-Apps über Charging bis hin zu Carsharing und weiteren Geschäftsmodellen. Alles ist möglich mit den entsprechenden Daten und dem Zugang zum Fahrzeug.

IfA: Sie haben erwähnt, dass in bestimmten Fällen auch markengebundene Betriebe durch die Hersteller eingebunden werden. Gibt es hierzu konkrete Erfahrungswerte? Und gibt es Unterschiede in der Art und Weise, wie die Hersteller ihr Handelsnetz einbinden?

Dominik Lutter: Ja, definitiv. Vor etwa einem Monat habe ich mit Verantwortlichen eines markengebundenen Betriebs gesprochen und dort zeigt sich immer mehr, dass vernetzte Fahrzeuge durchgehend mit dem Hersteller kommunizieren. Der Hersteller entscheidet im Hintergrund, welche Daten für den Händler oder die autorisierte Werkstatt freigegeben werden. Ein gutes Beispiel dafür ist ein deutscher Hersteller: Hier legt der Hersteller in der Kommunikation mit dem Kunden über den Pannendienst fest, welcher Händler kontaktiert werden soll und empfiehlt dem Kunden dann direkt, welchen Betrieb er aufsuchen soll. Ein weiteres Beispiel ist die zunehmende Steuerung der Preise. Ich kenne einen markengebundenen Betrieb, bei dem der Hersteller dem Kunden im Fahrzeug sogar Preise angeben kann für eine eventuelle Reparatur. Der Hersteller hat Zugriff auf das Teilelager des Betriebs – es wird also angezeigt, ob ein benötigtes Ersatzteil verfügbar ist und wie hoch die Kosten sowie die Stundenverrechnungssätze sind. Der Kunde erhält im Fahrzeug bereits die Information, wie viel die Reparatur kosten wird. Das ist meiner Meinung nach ein erheblicher Eingriff in die unternehmerische Freiheit, selbst bei autorisierten Händlern. Hier sehen wir deutlich, dass eine Steuerung durch den Hersteller stattfindet.

IfA: Die Situation für freie Betriebe wird dadurch noch prekärer, insbesondere da die Zahl der vernetzten Fahrzeuge zunimmt. Diese sind, wie Sie sagten, permanent mit dem Hersteller verbunden. Wir haben bisher primär über die markengebundenen Betriebe gesprochen. Bei den freien Betrieben gibt es, wie Sie bereits erwähnten, Anbieter wie High Mobility oder Caruso, aber auch hier variiert die Datenverfügbarkeit je nach Hersteller. In bisherigen Gesprächen kam oft zur Sprache, dass der Kilometerstand der einzige Datenpunkt ist, der bei allen Herstellern einheitlich verfügbar ist. Daraus ergibt sich die Frage: Welche Ausgestaltung des Datenzugriffs würden Sie sich wünschen – sowohl für markengebundene als auch für freie Betriebe?

Dominik Lutter: Das lässt sich in vier wesentlichen Punkten zusammenfassen. Erstens: Wir benötigen ein Recht auf die Entwicklung digitaler und digitalisierter Services. Das bedeutet, dass jeder die Möglichkeit haben muss, Applikationen oder Dienstleistungen zu entwickeln, die im Fahrzeug laufen können und über den App-Store der Fahrzeughersteller bereitgestellt werden. Zweitens: Einheitliche Zugangsstandards und -verfahren sind unerlässlich. Wenn ein Fahrzeughersteller eine App bereitstellt, die mit einem Fahrzeug kompatibel ist, dann sollten auch andere Apps, die ins Fahrzeug integriert werden sollen, denselben Sicherheitsstandards und Testverfahren unterliegen, um einen reibungslosen Betrieb sicherzustellen.

Drittens: Die kommerzielle Seite: Die Kosten und Vertragsbedingungen müssen klar ausgestaltet werden. Ein Beispiel ist der OBD-Zugang über die Herstellerdiagnose, bei dem die Kosten stark variieren – von etwa 7 Euro pro Stunde bis hin zu 50 Euro pro Woche pro Fahrzeug. Dieser Sachverhalt macht deutlich, dass eine klare Standardisierung erforderlich ist. Einheitliche API-Standards und standardisierte Datenpunkte sind entscheidend, damit Anbieter wie Caruso die Daten nicht erst sammeln und interpretieren müssen, da jeder Hersteller die Daten anders strukturiert. Und viertens: Das Thema Cybersicherheit muss einheitlich geregelt sein, da es alle Beteiligten betrifft – vom Hersteller über den Aftermarket bis hin zu den Werkstätten. Cybersicherheit ist eine gemeinsame Verantwortung, die nur geschlossen betrachtet werden kann.

Das sind die vier Kernpunkte, die wir für die Ausgestaltung des eines digitalen Automotive-Marktes als notwendig erachten.

IfA: Der Datenzugriff wäre durch ein einheitliches System klar strukturiert und standardisiert. Nehmen wir an, wir hätten eine solche Vereinheitlichung tatsächlich umgesetzt – also mit festgelegten Standards, einheitlichen Datenpunkten und derselben Frequenz für alle Beteiligten, ob markengebunden oder frei. Sie hatten bereits Use Cases wie eine Charging-App, Reparatur und Wartung angesprochen, bei denen der Hersteller oft noch viel steuert. Was wären, perspektivisch gesehen, wünschenswerte Geschäftsmodelle oder Use Cases? Können Sie einige konkrete Beispiele nennen?

Dominik Lutter: Grundsätzlich sollte der Fantasie an dieser Stelle auch keine Grenze gesetzt werden.  Für Werkstätten wäre ein System, das den Werkstattbetrieb optimiert, Fahrzeuge vernetzt und interne Werkstattprozesse wie Kundendatenbanken, Reparaturdatenbanken und Teiledatenbanken verknüpft, enorm vorteilhaft. Ein wesentlicher Bereich ist die Remote-Diagnose, ebenso wie Predictive Maintenance. Der Vorteil für Werkstätten liegt insbesondere in einer optimierten Kundendatenverwaltung und der Möglichkeit, die gesamte Werkstattplanung vollständig zu digitalisieren. Werkstätten könnten Kunden im Auto direkt über Chat-Bots erreichen und auch über Remote-Funktionen bei kleinen Problemen helfen. Das ist ein klarer Mehrwert. Der bedeutendste Aspekt ist jedoch die Fähigkeit, Kunden individuelle Services anzubieten. Ein Beispiel: In der Winterzeit könnte die Werkstatt dem Kunden über eine App eine Nachricht aufs Fahrzeugdisplay schicken. Sie könnte Angebote zum Winterreifenwechsel anzeigen. Diese individualisierten Services machen es möglich, den Kunden gezielt auf saisonale Angebote aufmerksam zu machen, wie die Wartung der Klimaanlage, und bieten sogar die Möglichkeit, direkt im Fahrzeug zu zahlen – zum Beispiel via PayPal, mit einem Klick auf dem Display. Das bietet Automatisierung und vereinfacht den Bezahlvorgang für den Kunden, was wiederum die Kundenbindung fördert.

Wir sehen bereits OBD-Dongle-Lösungen im Markt, die jedoch nicht immer Akzeptanz finden, auch weil sie zusätzliche Kosten verursachen. Kunden mit bereits vernetzten Fahrzeugen fragen sich dann, warum sie zusätzlich einen OBD-Dongle benötigen. Die Akzeptanz der vernetzten Services ist in der breiten Masse noch nicht vollständig gegeben, aber das dürfte sich durch den Generationswechsel der Kunden ändern. Für Werkstätten sind die beiden wichtigsten Anwendungsfälle aus meiner Sicht daher Wartung und Reparatur mit Fernwartungsoptionen, ebenso wie Predictive Maintenance, um Kunden individuell und zeitnah anzusprechen und im Alltag zu unterstützen.

IfA: Sie haben die Akzeptanz bei Kunden angesprochen. Neben der Kundenakzeptanz – welche weiteren Herausforderungen sehen Sie, besonders in Bezug auf die Rolle der Hersteller und die Integration datenbasierter Geschäftsmodelle? Gibt es Aspekte, die den Weg zur allgemeinen Nutzung und Etablierung solcher Modelle erschweren?

Dominik Lutter: Aktuell sehe ich zwei große Herausforderungen seitens der Automobilindustrie. Erstens haben viele Hersteller angekündigt, eigene Softwareentwicklungen und -plattformen aufzubauen, beispielsweise durch den Aufbau eigener Kompetenzen zur Entwicklung eigener Fahrzeugbetriebssysteme. Unser Eindruck ist jedoch, dass diese Strategie weitgehend gescheitert ist. Viele Hersteller haben inzwischen auf große amerikanische Player wie Google und Apple zurückgegriffen. Ein weiteres Beispiel ist der Automobilhersteller Porsche, der nun vollständig auf Android setzt. Anfang des Jahres haben wir recherchiert und festgestellt, dass Google und Apple bereits in 80 % der europäischen Fahrzeuge integriert sind. Das Betriebssystem-Thema ist für die Industrie daher faktisch erledigt – die großen Plattformen dominieren hier.

Was dies bedeutet, ist klar: Google und Apple bieten ihre Dienste nicht ohne Gegenleistung an. Irgendwann werden sie, wie es ihrem Geschäftsmodell entspricht, auch in der Automobilindustrie Wertschöpfungsanteile fordern. Ihre Plattformen basieren auf der Integration innovativer Apps und Nutzungsvielfalt. Sie werden also Streamingdienste wie Spotify und YouTube oder andere populäre Anwendungen integrieren und somit die Bedürfnisse der Kunden bedienen. Hier sehe ich ein großes Risiko – denn die Automobilhersteller werden Google und Apple aus den Fahrzeugen wohl nicht mehr verdrängen können. Polestar war beispielsweise der erste Hersteller, der sein gesamtes Betriebssystem auf Android basierte. Dieses System funktioniert für Kunden hervorragend: Mit dem Google Play Store können sie ihre Apps installieren und Inhalte vom Smartphone spiegeln. Die Fahrzeughersteller hingegen schaffen es aus meiner Sicht nicht, ein eigenes, konkurrenzfähiges Betriebssystem mit demselben Mehrwert zu entwickeln. Das führt dazu, dass sie sich auf Google und Apple verlassen müssen, während ihre eigenen Lösungen oft in Insellösungen enden, die nicht kompatibel sind und daher auch die Akzeptanz erschweren. Deshalb denke ich, dass wir kurzfristig eine stärkere Integration von Apple und Google sehen werden – und langfristig wird dieser Einfluss wohl noch weiter wachsen.

IfA: Das bedeutet, dass wir hier langfristig tatsächlich von einer Marktmacht für Google und Apple sprechen? Wenn die beiden in fast allen Fahrzeugen vertreten sind, entsteht eine Abhängigkeit von diesen Unternehmen, die auch den Zugang zu fahrzeuggenerierten Daten steuert. Dies birgt ja durchaus die Gefahr, dass die Hersteller hier ihre Kontrolle verlieren und diese Gatekeeper-Rolle an Google und Apple abgeben müssen. Welche Auswirkungen hätte das für den Markt?

Dominik Lutter: Genau das ist die Herausforderung. Derzeit haben die Fahrzeughersteller noch die Oberhand und die sogenannte Gatekeeper-Funktion für die Fahrzeugdaten, aber es könnte gut sein, dass Google und Apple diese Rolle übernehmen. Die Hersteller befürchten, dass sie zukünftig keine Kontrolle mehr darüber haben, was mit ihren Fahrzeugdaten geschieht – diese Entscheidungshoheit würde dann bei Google und Apple liegen. Wenn das so bleibt, wie es sich aktuell entwickelt, wird das unvermeidlich passieren. Es stellt sich dann die Frage: Wer verdient woran? Das ist eine kommerzielle Frage und es bleibt spannend, wie sich das in der Industrie entwickeln wird. Für uns im Aftermarket wäre ein solches Modell jedoch wünschenswert, jedoch müssen dann die Spielregeln klar definiert werden. Dort gibt es zwar schon Regulierungen wie den Digital Markets Act oder den Digital Service Act, die die großen Plattformbetreiber regulieren, es sollte aber zusätzlich für den Automotive Bereich eine sektorale Regelung geben.

IfA: Also eine Plattform, die den Zugriff auf viele Daten zentralisiert und diese auch dem Handel und den Werkstätten verfügbar macht?

Dominik Lutter: Genau. Google und Apple sind ja dafür bekannt, dass sie mit Open-Source in der Entwicklung arbeiten. Für Entwickler ist es einfach, Apps zu entwickeln und anzubieten – alle haben Zugang zu den gleichen Konditionen. Wenn Zahlungen in einer App stattfinden, verdienen Google und Apple ihren Anteil mit und das wäre für uns ein vergleichbares Modell. Aktuell müssen wir Applikationen für jede Fahrzeugmarke individuell entwickeln, was den Prozess unnötig kompliziert macht. Aber mit Google und Apple hätten wir die Möglichkeit, unsere Apps einmal zu entwickeln und diese in alle Fahrzeuge zu integrieren, die auf diesen Plattformen basieren. Das wäre ein enormer Vorteil für den gesamten Markt und würde auch die Innovationskraft im Aftermarket fördern.

IfA: Das ist wirklich eine spannende Herausforderung, die Sie beschreiben. Es scheint eine Art Stillstand zu geben – die Hersteller scheinen zwischen eigener Kontrolle und dem Druck von Plattform-Riesen hin- und hergerissen zu sein. Gibt es spezifische Unterschiede im Umgang der Hersteller oder typische Herausforderungen, die sich in diesem Spannungsfeld ergeben?

Dominik Lutter: Genau das ist der Punkt. Aktuell herrscht bei den Herstellern oft das Gefühl, dass sie in der Ecke stehen, was den Zugriff auf Fahrzeugdaten und die Kontrolle über den Markt betrifft. Es gibt zwar die Möglichkeit, den Zugang durch sektorspezifische Regulierungen zu öffnen, aber viele Hersteller stemmen sich dagegen. Sie begründen ihre Zurückhaltung mit der „Angst vor China und den USA“. Gleichzeitig gehen aber viele Kooperationen mit den großen Plattform-Playern ein, weil es kaum Alternativen gibt. Das eigentliche Problem ist, dass die Standards, die benötigt werden, entweder durch Regulierungen geschaffen oder aus der Industrie selbst heraus entwickelt werden könnten. Die Herausforderung liegt darin, ob die Industrie bereit ist, diese Standards zu vereinbaren und sich dann auf die Implementierung zu konzentrieren. Andernfalls drohen deutsche Hersteller gegenüber Unternehmen wie Tesla oder Anbietern aus China ins Hintertreffen zu geraten.

Tesla ist an dieser Stelle übrigens ein gutes Beispiel. Tesla geht bereits jetzt den Weg der Offenheit: Es ermöglicht Drittentwicklern Zugang zu über 500 standardisierten Datenpunkten und der Zugang ist Open-Source. Jeder kann Apps für Tesla entwickeln, was enorm attraktiv für Entwickler ist. Deutsche Hersteller hingegen sind sehr zurückhaltend. Aber weder Google noch Apple verfolgen das Geschäftsmodell, einzelne Datenpunkte zu verkaufen. Sie setzen auf eine Plattform, die Entwicklern standardisierten Zugang bietet und durch diesen offenen Zugang wird der Mehrwert geschaffen. Das ist meiner Meinung nach ein elementares Missverständnis, das die deutsche Automobilindustrie überwinden muss, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben.

IfA: Ihre Ausführungen verschaffen uns eine klare und umfassende Sichtweise auf die verschiedenen Interessen. Sie fordern also ganz konkret von den Stakeholdern einen gemeinsamen Fokus auf Standardisierung und Kundenzentrierung. Beginnen wir mit der Politik. Wie sollte die politische Landschaft – national und auf EU-Ebene – konkret handeln, um den freien Wettbewerb zu stärken?

Dominik Lutter: Richtig, von der Politik wünsche ich mir entschlossenes Handeln und eine sektorspezifische Regulierung, als Ergänzung des Data Act, der im Übrigen auch sektorale Regelungen vorschreibt. Seit 2016 versuchen wir, hier Fortschritte zu erzielen, aber ich habe in meiner Zeit beim ZDK noch nicht erlebt, dass es wirklich konsequente Regelungen für den Wettbewerb gibt. Unser Ziel muss ein klarer rechtlicher Rahmen sein, der den Zugang zu Fahrzeugdaten mit verbindlichen Standards, einheitlichen Kosten und fairen Vertragsbedingungen regelt – und das für alle Akteure im Markt. Wir brauchen ein Entwicklungsrecht, das eine Grundlage schafft, digitale Dienstleistungen auch in der Typgenehmigungsverordnung abzusichern. Es muss jetzt gehandelt werden, wir können nicht weitere Legislaturperioden abwarten. Andernfalls steht die gesamte europäische Automobilwirtschaft unter Druck.

IfA: Ein dringender Appell also an die politische Seite. Und was erwarten Sie von den Herstellern?

Dominik Lutter: Den Herstellern rate ich, ihre Perspektive zu erweitern und sich von traditionellen Silostrukturen zu lösen. Tesla ist hier ein anschauliches Beispiel. Tesla denkt im digitalen Ökosystem und hat verstanden, dass der Mehrwert Ihrer Fahrzeuge darauf beruht, die besten digitalen Services integriert zu haben. Diese Denkweise wünsche ich mir von den europäischen Herstellern auch, denn wenn Sie diesen Weg ignorieren und weiterhin auf abgeschottete Systeme setzen, riskieren sie es, langfristig den Anschluss zu verlieren. Mein Appell ist daher: „Agree on standards, compete on implementation!“ Ein gemeinsamer Standard schafft Fairness und fördert Innovationen, während die Umsetzung jedem Hersteller überlassen bleibt. Das ist die Vision, die wir immer wieder betonen.

IfA: Und was ist Ihre Meinung zur Rolle von Datentreuhändern, die ja von einigen Seiten als Lösung für einen neutralen Datenzugriff gesehen werden?

Dominik Lutter: Ich sehe derzeit keinen Mehrwert in der Einrichtung eines Datentreuhänders. Es erscheint mir unnötig, die Daten auf eine zusätzliche Instanz zu verlagern, die im Wesentlichen nur für Datensicherheit zertifiziert. In der Fahrzeugbranche sind die Anforderungen an Datensensibilität anders als etwa im Gesundheitssektor, wo es wirklich hochsensible Informationen gibt. Daher glaube ich nicht, dass sich ein Datentreuhänder in unserer Branche durchsetzen wird.

IfA: Und zum Abschluss: Der Fahrzeughalter, also der Kunde, wird oft als treibende Kraft genannt. Welche Rolle sollte er in diesem komplexen Marktgefüge spielen?

Dominik Lutter: Der Kunde ist entscheidend! Er bestimmt letztlich, was sich auf dem Markt durchsetzt. Der Trend zeigt, dass Kunden ein nahtloses Nutzungserlebnis bevorzugen – sie wollen ihre bestehenden Systeme, wie Apple oder Google, nahtlos ins Fahrzeug integrieren können. Die Hersteller müssen also darauf hören, was der Kunde wirklich will. Wenn Kunden künftig vermehrt zu Tesla greifen, weil sie dort die Apps und Funktionen nutzen können, die sie bereits gewohnt sind, wird der Druck auf die traditionellen Hersteller enorm steigen. Man sollte also nicht die Bedeutung des Kunden unterschätzen und sicherstellen, dass ihr auf seine Bedürfnisse hört.

IfA: Vielen Dank für Ihre klaren und detaillierten Antworten, Herr Lutter. Ein wichtiger Punkt, der immer wieder aufkam, ist der Data Act. Er hat durchaus gemischte Reaktionen hervorgerufen und wird unterschiedlich bewertet. Lassen Sie uns das Thema genauer betrachten. Wie bewerten Sie das neue europäische Datengesetz, das den Zugriff auf durch vernetzte Geräte generierte Daten regelt?

Dominik Lutter: Zunächst einmal begrüßen wir den Data Act, da er eine wichtige Klarstellung für Verbraucher darstellt, wie mit den Daten umgegangen werden soll, die durch vernetzte Geräte erzeugt werden. Allerdings ist der Data Act eine horizontale Gesetzgebung, die nicht nur Fahrzeuge, sondern auch andere vernetzte Geräte wie Mikrowellen und Geschirrspüler betrifft. Er legt lediglich grundlegende Prinzipien fest und ist daher nicht in der Lage, digitale Dienstleistungen ausreichend zu ermöglichen. Gerade jetzt, wo alle Augen auf den Automobilsektor gerichtet sind, wird deutlich, dass wir sektorspezifische Regelungen benötigen. Der Data Act ist ein guter erster Schritt, aber die nachgelagerten europäischen Gesetzgebungen, wie der Data Governance Act, der Digital Services Act (DSA) und der Digital Markets Act (DMA), sind für uns von größerer Bedeutung. Diese Gesetze schaffen klare Spielregeln für Plattformen und definieren die Rolle der Gatekeeper im Datenmarkt.

Zusammengefasst ist der Data Act wichtig, aber er muss durch spezifischere Regelungen ergänzt werden, da er nur den Lesezugriff auf Daten regelt. Die gegenseitige Kommunikation und die Entwicklung neuer Dienstleistungen bleiben unklar. Daher sehen wir den Data Act eher als einen ersten Schritt, der aber noch weiter konkretisiert werden muss.

IfA: Das heißt, wir benötigen sowohl Konkretisierungen als auch Ergänzungen. Wie schätzen Sie die praktische Anwendbarkeit des Data Act ein?

Dominik Lutter: Die praktische Anwendbarkeit ist entscheidend. Wenn Nutzer beispielsweise ihre Daten von einer vernetzten Heizung an Dritte weitergeben möchten, müssten sie zuerst den Hersteller kontaktieren, um die Daten zu erhalten. Diese Wertschöpfungskette scheint mir nicht durchdacht zu sein. Der Kunde wird wahrscheinlich nicht aktiv beim Hersteller nachfragen, sondern eher den Installateur beauftragen, der dann auf die Heizung zugreifen kann. Das ganze System muss also noch besser durchdacht werden. Der Gedanke, dem Nutzer die Kontrolle über seine Daten zu geben, ist wichtig, aber es bleibt abzuwarten, wie das in der Praxis funktioniert, wenn der Data Act 2025 in Kraft tritt.

IfA: Zum Abschluss möchten wir Sie bitten, den folgenden Satz zu vervollständigen: „Der Zugriff auf fahrzeuggenerierte Daten ist für die von mir vertretenen Unternehmen …“!

Dominik Lutter: Der Zugriff auf fahrzeuggenerierte Daten, Ressourcen und Funktionen ist für die von mir vertretenen Unternehmen elementar, da es um die Zukunft des Kfz-Gewerbes geht, sowohl für markengebundene als auch für markenungebundene Betriebe. Es geht um die Erschließung neuer Geschäftsmodelle.

IfA: Vielen Dank für das Gespräch, Ihre prägnanten Antworten und die vielen wertvollen Informationen!