Digitale, kollaborative Fabrikplanung am Fraunhofer IGCV

Schnelle und flexible Fabrikplanung als Wettbewerbsvorteil

1   Einführung und Motivation:

Stetig kürzere Produktlebenszyklen sowie immer häufigere Produkt- und Prozessinnovationen bedingen regelmäßige Anpassungen von Fabriken und Produktionssystemen. Kurze Reaktionszeiten sind damit auch in der Fabrikplanung ein immer wichtigerer Wettbewerbsfaktor, wobei eine schnell zugängliche und aktuelle Planungsgrundlage Grundvoraussetzung ist. Darüber hinaus müssen Fabriken oftmals konkurrierende Ziele erfüllen. Eine Produktion, welche ein definiertes Produktportfolio in einer definierten Menge sowie Qualität zu einem definierten Zeitpunkt effizient herstellen soll, steht weiteren Anforderungen wie Flexibilität, Wandlungsfähigkeit und / oder Nachhaltigkeit gegenüber. Die unterschiedlichen Ziele werden von verschiedenen Akteuren innerhalb der Fabrik adressiert. Eine optimale Gestaltung der Fabrik bzw. des Produktionssystems ist daher sehr komplex.

Das Fraunhofer IGCV setzt hierfür auf digitale, kollaborative Methoden, um Fabrikplanungsprozesse effizienter und nachhaltiger zu gestalten. Die digitale, kollaborative Fabrikplanung liefert Planungsansätze und Methoden, um den genannten Herausforderungen besser zu begegnen und verschiedene Planungsbereiche in den Fabrikplanungsprozess zu integrieren. Eine enge Zusammenarbeit zwischen allen Disziplinen über einfach verständliche, digitale Fabrikmodelle erhöht die Transparenz und die Planungsqualität. Kollaborative Fabrikplanung mit einer digitalen Durchgängigkeit kann die Planungszeit zudem verkürzen und eine nachhaltige Grundlage für zukünftige Umplanungen schaffen. Eine Änderung des Fabrikplanungsvorgehens hin zu einem integrativen und ganzheitlichen Ansatz leistet somit einen entscheidenden Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit des produzierenden Gewerbes in einem immer zunehmenden dynamischen Marktumfeld.

Am Fraunhofer IGCV wird hierfür zwischen drei Themenschwerpunkten – Bestandsdigitalisierung, digitale Fabrikplanung und Verknüpfung von Fabrik- und Gebäudeplanung – unterschieden, welche im Folgenden näher beleuchtet werden.

2   Bestandsdigitalisierung als Grundlage für die digitale Fabrikplanung

Das Fraunhofer IGCV verwendet die Bestandsdigitalisierung, um Fabrikgebäude und Produktionssysteme effizient zu erfassen und in digitale Modelle zu überführen. Diese Modelle dienen im weiteren Vorgehen als Planungsgrundlage.

Produktionsumgebungen werden mittels Laserscans aufgenommen. Hierfür stehen verschiedene Technologien zur Verfügung. Neben stationären Scannern sind mobile Laserscanner wie tragbare Scanner oder Drohnen, wie in Abbildung 1 und 2 zu sehen, im Einsatz.

Abbildung 1: Bestandserfassung mithilfe eines tragbaren Laserscanners NavVis VLX ©A3_Christian_Strohmayr
Abbildung 2: Bestandserfassung mithilfe einer Drohne

In Abhängigkeit des Anwendungsfalls und des konkreten Ziels werden dabei unterschiedliche Scanning-Technologien eingesetzt bzw. miteinander kombiniert. Die erfasste Umgebung kann anschließend in verschiedenen Detaillierungsgraden geometrisch nachmodelliert werden.

Nicht-geometrische Informationen, wie Medienbedarfe oder Bodenlasten lassen sich nach der Modellerstellung direkt mit dem Modell verknüpfen.

Die Modelle werden anschließend zur Erzeugung neuer Planungsstände wie ein verändertes Produktionslayoutverwendet. Abbildung 3 zeigt wie Virtual Reality (VR)-Visualisierungen eingesetzt werden können, um ein einheitliches Verständnis dieser Planungsstände als Diskussionsgrundlage zwischen verschiedenen Stakeholdern aufzubauen.

Abbildung 3: Visualisierung mit VR-Technologie ©A3_Christian_Strohmayr

Forschungsthemen, welche in diesem Kontext am Fraunhofer IGCV thematisiert werden, umfassen umfassen beispielsweise die Kombination unterschiedliche Systeme zur Aufnahme von Laserscans oder die Untersuchung zukünftiger Einsatzpotenziale von Punktwolken. Darauf aufbauend werden Methoden für eine automatisierte Nachmodellierung bzw. präzise Positionierung von digitalen 3D-Modellen erforscht. Weiter wird zudem an Möglichkeiten zur vereinfachten Einbindung von nicht-geometrischen, konstanten sowie dynamischen Daten gearbeitet. Zudem bildet die erweiterte Nutzung von Punktwolken über die Nachmodellierung hinaus beispielsweise zur punktwolken-basierte Kollisionsprüfung von Planungsmodellen einen Forschungsschwerpunkt.

3   Digitale Fabrikplanung im Kontext der Layout-, Logistik- und Materialflussplanung

Bei der digitalen Fabrikplanung im Kontext der Layout-, Logistik- und Materialflussplanung spielt der Einsatz digitaler Technologien und Methoden zur Planung und Gestaltung von Produktions- und Logistiksystemen eine wichtige Rolle. Sie umfasst die Verwendung von computergestützten Tools wie beispielsweise dynamische Simulationen sowie virtuelle Fabrikmodelle, um den gesamten Lebenszyklus einer Fabrik zu unterstützen, angefangen bei der Konzeption und Planung über den Bau und die Inbetriebnahme bis hin zur kontinuierlichen Optimierung und Anpassung von Produktionssystemen.

Die digitale Planung ermöglicht es verschiedene Szenarien vorab miteinander zu vergleichen. Dadurch können auch bei in sich konkurrierende Zielen, wie beispielsweise ein hohes Maß an Flexibilität bei gleichzeitiger maximaler Flächeneffizienz, die beste Lösung für alle Stakeholder effizient gefunden werden. Die Optimierung der Produktionskapazität, eine effiziente, optimale Gestaltung der Produktionsprozesse und des Layouts sowie die simulationsgestützte Analyse und Optimierung des Materialflusses nehmen eine wichtige Rolle ein. Um den Aufwand für die Erstellung einer Materialflusssimulationen zu reduzieren, entwickelt das Fraunhofer IGCV nutzergerechte Bausteinbibliotheken. Abbildung 4 zeigt die bereits am Fraunhofer IGCV verfügbaren Bausteine für die Logistikaufgaben Transport, Lagern, Schleusen, und Vereinnahmung, welche entsprechende Fragestellungen der jeweiligen Fabrikplanungsaufgabe beantworten können.

Abbildung 4: Bausteinbibliothek für Logistikmodule zum Aufbau einer Materialflusssimulation

Um die Planungsqualität zu erhöhen gibt es weiterhin auch verschiedene Möglichkeiten der Kollaboration im digitalen Planungsprozess. Insbesondere bei der Gestaltung des optimalen Fabriklayouts, unter Berücksichtigung von Produktionsprozessen, ergonomischen Aspekten, Sicherheitsrichtlinien und der Flächennutzungseffizienz lassen sich kollaborative Methoden einsetzen.

Innerhalb des Forschungsprojekts ARZuKMU wird hierfür ein Augmented Reality (AR) -basiertes Fabrikplanungsvorgehen zur Mitarbeitendenpartizipation in der Layout- und Logistikplanung entwickelt.

Innerhalb dieses Projektes soll untersucht werden, wie sich eine mit AR verknüpfte Planungssoftware für eine bessere Visualisierung von Planungsständen in der Produktionsumgebung nutzen lässt und inwieweit die Integration von Produktionsmitarbeitenden das Planungsvorgehen verbessern und effizienter bzw. nachhaltiger gestalten kann (vgl. Abbildung 4). In diesem Zusammenhang ergeben sich neue Rollen im Planungsprozess, die im Fabrikplanungsvorgehen integriert werden. Die Auswirkungen des zusätzlichen Know-hows auf die Planungsqualität werden ebenfalls im Rahmen des Projekts untersucht.

Abbildung 5: Augmented Reality basierte Fabrikplanung

4   Verknüpfung von Gebäudeplanung und Produktionssystemplanung – Übertragung der BIM Methodik auf die Fabrikplanung

Der dritte Arbeitsschwerpunkt am Fraunhofer IGCV im Kontext der digitalen, kollaborativen Fabrikplanung beschäftigt sich mit der Schnittstelle zur Gebäudeplanung. Die Fabrikplanung bezieht sich grundsätzlich auf alle Bereiche, welche in direkter Verbindung mit der Produktion stehen. Für einen effizienten und zielgerichteten Fabrikbetrieb muss neben der Produktion auch das Gebäude auf die Nutzungsanforderungen ausgelegt werden.

Oftmals verlaufen die Planung des Gebäudes und des Produktionssystems losgelöst voneinander, was zu Fehlplanungen und damit einhergehend zu Verzögerungen und hohen Kosten führen kann. Denn gerade in der Fabrikplanung (vgl. Abbildung 6) ist eine umfangreiche Kommunikation der verschiedenen Fachbereiche (Produktionssystem-, TGA-, Tragwerksplanung etc.) notwendig, da das Produktionssystem in der Fabrik eine Vielzahl an Anforderungen an das Fabrikgebäude stellt. Beispielsweise müssen die Medienanschlüsse oder die Bodenbeschaffenheiten eines Fabrikgebäudes auf die Bedarfe des Produktionssystems ausgelegt werden.

Abbildung 6: Zusammenarbeit der Fachbeteiligten an einheitlichen Modellen

Die Verknüpfung der beiden Planungsprozesse über digitale Tools und Methoden, wie das Building Information Modeling (BIM), schafft einen kollaborativen Planungsansatz und kann die Planungseffizienz deutlich steigern. In der Gebäudeplanung wird bereits vermehrt mit BIM als kollaborative Arbeitsmethodik geplant. BIM ermöglicht die Zusammenarbeit aller am Bauprozess beteiligten Gewerke, indem relevante Informationen regelmäßig ausgetauscht und synchronisiert werden. Grundlage von BIM bilden zentral gespeicherte, digitale 3D-Modelle, die mit nicht-geometrischen Informationen verknüpft sind. Dadurch können potenzielle Probleme frühzeitig erkannt und die Effizienz in Planungsprojekten gesteigert werden.

Die Übertragung dieser Methode auf die Fabrikplanung ist einer der aktuellen Forschungsbereiche am Fraunhofer IGCV. Im laufenden Forschungsprojekt FaBIM, beschäftigt sich das Projektkonsortium beispielsweise mit der Verknüpfung des Produktionssystems und des Gebäudes über den gesamten Lebenszyklus hinweg – von der Planung bis zum Betrieb (vgl. Abbildung 7). Hierbei steht insbesondere die Entwicklung einer gemeinsamen Plattform für alle auszutauschenden Daten im Vordergrund.

Abbildung 7 Vernetzung von Gebäude- und Produktionssystemplanung mit BIM

5   Demonstrator für digitale Durchgängigkeit und Kollaboration in der Fabrikplanung am Fraunhofer IGCV

Bisherige Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zeigen zudem, dass die Datendurchgängigkeit im Kontext der digitalen Fabrikplanung eine hohe Relevanz hat. Daten sollen möglichst nicht redundant gehalten und ohne fehleranfällige, manuelle Tätigkeiten zwischen den Planungstools ausgetauscht werden können.

Um die digitale Datendurchgängigkeit für ein Fabrikplanungsprojekt, durchgeführt mit kollaborativen Planungsmethoden, zu testen und weiterzuentwickeln, wurde am Fraunhofer IGCV ein Demonstrator aufgebaut. Anhand einer Musterfabrik werden die einzelnen Schritte der Fabrikplanung, welche am Fraunhofer IGCV abgedeckt werden, vermittelt. Der Demonstrator besteht aus einem physischen sowie einem digitalen Fabrikmodell wie in Abbildung 8 zu sehen ist.

Abbildung 8: Physischer und digitaler Demonstrator der IGCV Musterfabrik

Es wird gezeigt, mit welchen Methoden und digitalen Softwaretools die Planung unterstützt, und wie über die Fabrikplanungsschritte hinweg eine digitale Durchgängigkeit ermöglicht werden kann. Zudem kann der Einsatz bzw. der Mehrwert von VR-/AR-Technologien für die Visualisierung und Kollaboration anschaulich demonstriert werden.

Ziel des Demonstrators ist es, den Nutzen einer digitalen, kollaborativen Planung zu vermitteln und die Kernkompetenzen des Fraunhofer IGCV im Bereich Fabrikplanung anschaulich darzustellen.

Durch den Einsatz digitaler Technologien und kollaborativen Methoden wie die Bestandsdigitalisierung, 3D-Modellierung, VR-Visualisierung, Materiaflusssimulationen, AR-Technologien und BIM, können potenzielle Probleme frühzeitig erkannt und behoben werden, noch bevor eine Fabrik gebaut oder umgestaltet wird. Dies führt zu effizienterer, nachhaltigeren Planung, reduzierten Kosten und einer höheren Qualität des Planungsergebnisses.

KONTAKT

Fraunhofer-Institut für Gießerei-, Composite- und Verarbeitungstechnik IGCV
Dr.-Ing. Andrea Hohmann
Abteilungsleitung Nachhaltige Fabrikplanung und -betrieb
Am Technologiezentrum 2
86159 Augsburg
E-Mail: andrea.hohmann@igcv.fraunhofer.de
Veröffentlicht im Rahmen von DiSerHub und der Fraunhofer-Allianz autoMOBILproduktion